Weiermühle Steckborn

von E. Labhart- Zellweger
An einer Rundbogentüre aus Sandstein, die als Kellereingang der Weiermühle dient, habe ich unter dem rötlichen Herbstlaub der wilden Rebe die Jahreszahl 1667 entdeckt. Unser Haus hätte demnach dieses Jahr seinen 300-sten Geburtstag, ein Fest, das uns wohl wert scheint, gebührlich gefeiert zu werden.
Beim heutigen Zustand handelt es sich jedoch um eine umfassende Renovation oder einen grösseren Anbau. Das eigentlich alte Haus soll, wie aus dem Folgenden zu erfahren ist, noch einige Jahrhunderte älter sein.
"WeierMühle", d.h., dass in Weier einst ein Mühlrad gelaufen ist und schwere Steine das Korn mahlten. Ein grosser, schwer Mühlstein, im Durchmesser von etwa 130 cm, liegt heute noch hart an der Strasse gegenüber der früheren Mühle, als unmissverständlieber Zeuge seiner einstigen Bestimmung. Das Bächlein aus dem Luegenbachtobel, das einst das Mühlenrad trieb, fliesst jetzt noch, doch in Röhren gefasst, unter der Strasse durch und speist den Springbrunnen im Mühlegarten und treibt noch eine alte Turbine.


Die alte Mühlen- Romantik musste der Neuzeit weichen, aber das alte Haus hat die Jahre überdauert und ist heute noch ein ansehnlicher Zeuge solider Handwerksarbeit.
Die Weiermühle soll einst eine Mühle des begüterten Klosters Reichenau gewesen sein, eine sogenannte Kundenmühle, die an das Kloster jährliche Abgaben leisten musste. Wir haben versucht, etwas aus der Baugeschichte zu erfahren, aber die diesbezüglichen Urkunden sind leider aus dem Kloster verschwunden. Einzig alte Zinsrodel waren noch aufzufinden aus denen hervorgeht, dass die jeweiligen Pächter und späteren Eigentümer der Mühle schon in den Jahren um 1459 dem Kloster Rei­
chenau, wie noch verschiedene andere Höfe in Steckborn, abgabepflichtig waren. So hiess es in einem Kaufvertrag aus dem Jahre 1674.
"Davon gehört jährlich dem fürstlichen Gottshaus Reichenau: Kernen (Steinermass), zwei Malter Hirzel, Haber 1 Muth, Geld 7 Batzen und Eier einhundert und der Gemeinde allhier 5 Batzen und sonst nichts".
Daniel Hausmann, Bürgermeister von Steckborn, hat damals -1674- die "Mullin zu Wyer" samt dem davor liegenden Krautgarten, samt Wasser, Wasserleitung, Stege, Wege, Recht und Gerechtigkeit und allen Zubehören so von altersher dazu gehörend für den Preis von eintausendzweihundert Gulden gekauft.
Leider fehlen frühere, genaue Ueberlieferungen. Aus der Steckborner Chronik von 1290- 1798 konnten wir eine kurze Notiz von Herrn a. Statthalter Eduard Hanhart entdecken: "1174 Weiermühle Steckborn". Aber keine weiteren Einzelheiten. Also schon zu jener Zeit gab es eine Weiermühle, als das Kloster Reichenau seine Blütezeit hatte.

Aus einem "Müllirechts-Brief" aus dem Jahre 1756 geht hervor, dass sich die damaligen Besitzer, Melchior und Conrad Labhardt von Steckborn von der Landvogtei im Thurgau ihr Mühlerecht bestätigen Hessen. Es heisst darin u.a.: "Wir, die Abgesandten der Hochlöblichen des Thurgaus Regier-Orten, zu Frauenfeld versammelt, bekennen hier mit diesem Brief, dass vor uns in Untertänigkeit erschienen, Melchior und Conrad Lab­hardt von Steckborn, um mit mehrerem gehorsamst vortragen lassen, wie eh und je und schon seine Vorfahren das Müllirecht allda immer geübt und genossen, darum aber keinen Brief und Siegel in Händen haben, mit der gehorsamsten Bitt, damit er dabei ferneres und desto gesi­cherter verbleiben, möge ihm dessenthalben das erforderliche Bewilligungs- und Confirinationspatent in Gnaden widerfahren lassen. Wann nun bei vorgenommener Untersuchung sich geäussert, dass die Mühle schon seit langen Jahren existiert und bis zur jetzigen Zeit ohnklagbar immer gebraucht worden, so haben wir ihn nicht allein damit fürbass gelassen, sondern gegenwärtiges Patent ihm zu Händen gestellt, in Kraft dessen Er, seine Erben und Nachkommen das Müllirecht in Steckboren ohne männiglichen Eintrag und Hindernis nützen und brauchen solle und möge, wie bisher und in Weis und Form, wie es andere Müller zu tun pflegen, jedoch in dem klaren Verstand ohne hochlöblicne Bewilligung, dass zudem keine andere Mühle angelegt, auch dieserhalb eine, von denen vill hochlöblichen Regier-Orten zu Lehen herrührende Ehehaften (Gerechtigkeiten) auf jede Abänderung des Besitzes von unseren jeweiligen Landvögten mit einem Gulden Lehen und Sportel Schreibtaxe, auf 3 Batzen Einschreibegeld nach Lehen, Art und Brauch sogleich wieder requiriert und empfangen werden sollen. Gegeben in unserer aller Namen mit unserer lieben und getreuen Landvogtei im Thurgau des edlen und weisen Hauptmann Felix Ludwig Weber, als Statthalter löblichen Landes Schwvz.
Secret Insigill, verwahrt den 28 July 1756."
Leider fehlen die Angaben über spätere Besitzer der Weiermühle. Hingegen waren Melchior und Conrad Labhardt anno 1781 immer noch Müller auf der Weiermühle.
Bis 1850, also rund 70 Jahre, fehlen wieder anschliessende Einzelheiten. Einer kurzen Angabe des Grundbuchamtes Steckborn ist zu entnehmen, dass im Jahre 1850 ein Johannes Guhl, Müller, Besitzer der Mühle, zu 3'000 Fr. brandversichert war, die dazugehörenden Wagenschöpfe und ein Sägereigebäude mit 600 Fr.
Nach dem T ode von Johannes Guhl war die Weiermühle ein ziemlich verwahrlostes Gebäude und wurde längerezeit dem Schicksal überlassen. Es schien Allgemeingut gewesen zu sein. Was an wertvollen Möbeln, Inventar und beweglichem Gut vorhanden war, wurde um wenig Geld vergantet, was nicht niet- und nagelfest war, verschwand bis 1885 scheinbar aus der Erbschaft, als das Haus mit Mülli- und Wasserrecht an Conrad Labhardt überging, dem Grossvater des jetzigen Besitzers. 1889 erwarb Jean Labhart, Mechaniker, das Haus von seinem Vater um den Preis von 9'000 Fr. Der damalige Zustand des Hauses, dem zum Teil Türen, Fenster und Böden fehlten, brauchte viel Mut und Unternehmungsgeist zur Uebernahme. Aus der früheren Weiermühle wurde eine mechanische Werkstätte. Vater Jean Labhart war ein tüchtiger, weitgereister Handwerker, der in seinen jüngeren Jahren als Handwerksbursche zu Fuss über Nord- und Ostdeutschland bis nach der russischen Hauptstadt, dem damaligen Petersburg, wanderte. Von dort teils zu Pferd, mit Wagen, aber auch viel zu Fuss, reiste er quer durch Russland bis ans schwarze Meer, nach Odessa und auf die Halbinsel Krim. Ueberall arbeitete er, um das Geld für seinen Lebensunterhalt und die Weiterreise zu verdienen. Nach vielen Strapazen strebte er dann durch den Balkan seinem Heimatstädtchen zu, wo er mit bescheidenen Mitteln seinen Hausstand und die mechanische Werkstätte gründete. Er war der Erfinder der sog. Labhart- Handpumpe, was seine Existenz bald verbesserte und ihm die Möglichkeit gab, das Haus zu Weiermühle langsam renovieren und verschönern zu lassen.
In den letzten dreissig Jahren hat das Haus durch seinen Sohn, dem jetzigen Besitzer allerlei bauliche Veränderungen erfahren. Aus der alten, steilen und engen Wendeltreppe wurde ein breites Treppenhaus. Aus dem einstigen Kornspeicher im dritten Stock, wo Säcke und Kernern gelagert wurden, auch Mäuse und Ratten zu Flaus waren, entstand eine moderne, neuzeitliche Wohnung. Heute darf das alte Haus mit seinen 3 Wohnungen als angeneh­mer Wohnsitz gelten.

Möge das Haus, das schon so viele Stürme und hunderte von Jahren überstanden hat, auch fernerhin ein Wahrzeichen Steckborns bleiben und in späteren Jahren verständige Eigentümer finden. Wir hoffen, sie werden der Weiermühle und seiner heimeligen Umgebung inmitten der anderen Häuser im Weier Verständnis und Liebe zum Althergebrachten entgegenbringen.
Steckborn, am 4. Februar 1967