Thurgauische Beiträge zur vaterländischen Geschichte 1886

Geschichte von Ermatingen bis zur Reformationszeit  

buch1

buch2

1. Teil

Eine Zusammenstellung dessen, was von den Schicksalen des Fleckens Ermatingen bekannt ist, kann keinen Anspruch ans Vollständigkeit machen; sie wird um so mehr dieses Gebrechen an sich tragen, weil die einzelnen Notizen mühsam und allen Seiten her zusammengelesen werden müssen. Die Dokumente in der Gemeindelade enthalten bis in's fünfzehnte Jahrhundert äußerst wenig, das sich verwerten läßt, und der Volksüberlieferung kann so gut wie gar nichts abgewonnen werden.
Sieht man auf das, was der Ort noch heute ist, ein Dorf, welches von Landwirthschaft und Fischerei lebt, wo Gewerbe wenig mehr als Oertlichss zu befriedigen haben und erst in der neuesten Zeit sich der Unternehmungsgeist in Gründung von industriellen Etablissements versucht, und wird die Bemerkung vorausgeschickt, daß, wenn früher etwa in günstigen Momenten Gewerbe oder industrielle Thätigkeit einen Aufschwung zu nehmen versprachen, dieser bald wieder in sich selbst zerfiel: so weiß man auch zum voraus, daß eigentlich der Ort keine besondere Geschichte haben kann; daß da von bedeutenden Männern und von erfolgreichen Gegebenheiten nicht viel zu melden ist, und daß diese Zusammenstellung kein anderes Resultat bieten wird als unzusammenhängende Beobachtungen, wie diese oder jene wichtige Begebenheit an den äußersten Grenzen der Geschichte, dem Heim von mit der Sorge um das tägliche Brot ringenden armen Leuten sich verläuft; wie diesen etwa günstige Zeitläufe zu gute kamen, oder wir sie hin und wieder die Sünden und Fehler ihrer Gewalthaber büssen mußten wie sie die Zeitläufe nach und nach aus den fesseln geistlicher und weltlicher Hörigkeit herauslösten, und wie sie endlich zu den Tagen kam, wo sie ihr Geschick selbst zu lenken berufen wurden.
Die einzelnen Menschen mochten immer gerne alt werden, die Ortschaften aber immer gerne alt sein. Die Eigenschaft des Altseins darf Ermatingen mit allem Recht für sich in Anspruch nehmen. Weit über die bekannte Geschichte hinaus reichen die Spuren der im Bügen und im obern Staad vorhandenen Pfahlbauten; die Menge der Fundstücke, und mit ihr zugleich der Zustand der aufgefundenen Steinwerkzeuge weisen ihrerseits noch höher hinauf; sie zeugen, das; wir es selbst da nicht einmal mehr mit rohen Anfängen der Kultur, sondern mit einer bereits darin schon fortgeschrittenen größern Ansiedlung vor der Bronceperiode zu thun haben.
Merkwürdig ist, mit Hinsicht ans das Vorkommen von Pfahlbauten im Bügen, daß schon vor dem Bekanntwerden derselben alte Leute als Ueberlieferung ihrer Voreltern erzählten, im Bügen hätten die ersten Häuser des Dorfes gestanden, Ob wohl hierin eine dunkle Volkserinnerung an die Pfahlbauten liegt ?
Bietet der See in den Steinwerkzeugen der Pfahlbauzeit Reliquien eines untergegangenes Stückes, der Ortsgeschichte, so bietet und birgl Gleiches nicht minder auch der Ackerboden; denn hin und wirder werden römische Münzen gefunden, Spuren von Bauwerken aus jener Zeit bisher noch nie. Der Name Römerstall, welchen früher das untere Bauernhaus in Höhnweilen führte, könnte vielleicht mit einer römischen Wohnstätte oder mit dem Umstande, dass noch in späterer Zeit sich Baureste daselbst befunden haben, welche den Römern zuge-schrieben wurden, in Verbindung zu bringen sein. Was an der Sage ist, es habe einmal in der Waldstettenzelg eine Stadt gestanden, und was die Funde im Riederhau (Bruchstücke von Gefässen und Münzen aus den Zeiten von Septimius Severus und der ältern Faustina) zu sagen haben, muß zur Zeit noch offene Frage bleiben.
Der Eisenbahnbau hat 1875 zahlreiche Grabstätten aus der Allemannenzeit aufgedeckt. Einzelne Fundstücke deuten darauf hin, daß dieselben etwa der Zeit von 350 bis 450 nach Christo angehören, in welcher der Orkan der germanischen Völkerwanderung in vollem Zuge war. Dabei lässt auch eine gewisse Regelmäßigkeit in der Anlage dieser Grabstätten darauf schließen, daß nicht bloß ein kriegerisches Ereignis, sondern auch hier wieder eine feste Ansiedelung darin Urkund finden dürfte.
Grabstätten, welche ein vorhergegangenes Verbrennen der Leichen zeigen, finden sich in der Musegg vor.
Die 1860 bei Anlaß der Bachkorrektion eutdeckten Gräber scheinen eher Reihengräberzu sein, als daß sie, wie Mörikofer seiner Zeit meinte, von dem Überfall des Jahres 1499 herrühren.
Vorbei also an der Frage, warum die ersten Bewohner ihre Pfahlbauten aufgegeben und in welcher Gruppierung ihre nächsten Nachfolger sich auf dem festen Boden wohnlich gemacht, obgleich ganz gut etwa darin Wegleitung zur Erklärung der uralten, im Ortsleben bis auf den heutigen Tag nicht erloschenen Unterscheidung zwischen Stadt und Dorf mit deren traditionellen Grenzbezeichnung, verschiedenem Dialekte beider Theile und separaten Gebräuchen (z. B. die Groppenfasnacht) liegen könnte, vorbei an den Seiten und Zuständen der Römer und der Allemannen mit dem Wunsche des sterbenden Göthe nach "Licht, mehr Licht!" - denn vergeblich sehen nur uns nach dem Material zur Ausfüllung des engen Rahmens dieser ersten Serie der Dorfgeschichte um.

Sind bis dahin Steinbeile und verrostete Waffenstücke die Urkundszeugen, so treten allmälig mit dem achten Jahrhundert Pergamenturkunden, aber noch lange mit fast gleich spärlicher Auskunft an deren Stelle; denn nicht, daß nun etwa ein Schreiber Beruf dafür gefunden hätte, eigens der Nachwelt Leben und Thaten der damaligen Ermatinger auszuplaudern: Leben und Thaten solcher gewöhnlichen Leute erschienen in iener Zeit nur insofern der Aufzeichnung werth, als die Zins- und Zehentrödel geistlicher und weltlicher Herren davon berührt wurden.
Zum ersten Male wird des Ortes Ermatingen urkundlich erwähnt in einem Schenkungsbriefe des Klosters Reichenau, welcher das Datum 24. April 724 trägt.
Karl Martell bewilligt mit demselben die Gründung des Klosters und vergabt den Mönchen zu ihrem Unterhalt:
„fünff Fleken uswendig der insulen gelegen in unserer Fronung des Bodensews.--------Dieselben Flecken sind also genannt: Marchelfingen, Alaspach, Kaltenbrun, Wolmatingen, Almantiscurt und an der ander sitten des Rins Ermuttingen unser dorff mit allen iren Anhangungen und witti und vier und zweinzig Menschen mit der Stüre, die im Thurgöw wonen, sind: Rapert, Godwin, Landolt, Rappo, Petto, Cuono, Winfrid, Justus, Palcher, Widalt, Lamprecht, Arfrid, Wolfart, Theotrich, Theopert, Atfrid, Radewin, Alidolfus, Aremmanolt, Palfridus, Etirich, Alemanfrid, Landwin, Walthar, und all ir nachfolgend Geschlecht und one die och alle die fry in derselben Segni sind, und sich bi unsern Ziten daselbst hingeben."
Während die Mönchslegende diese Schenkung mit der Gründung des Klosters in Verbindung bringt, sie unmittelbar derselben folgen lässt und als den Grundstein jener später weltlichen Macht feiert, von welcher die Sage erzählt, ein Abt von Reichenau habe nach Rom reisen können, ohne auch nur ein Mal auf fremdem Eigenthum übernachten zu müssen, rüttelt dagegen längst die historische Kritik an der Echtheit der Urkunde.
Leichtlen, „Die Zähringer," Seite 12, und Roth von Schreckenstein, „Mainau," Seite 229, nennen sie einen groben und verunglückten Versuch des dreizehnten Jahrhunderts, einen Stiftungsbrief herzustellen und inzwischen erhaltene Privilegien
mit einzuflechten, kommt ja doch Aehnliches gerade bei den Reichenauer Mönchen, um von dem Vorgehen anderer Klöster abzusehen, auch anderorts vor; eine längst als Fälschung anerkannte Urkunde ist diesfalls z,B. die Schenkung der regalis Villa (Ulm 813) Karls des Großen an das Kloster Reichenau, obgleich 1312 diese Urkunde von Kaiser Heinrich III. bestätigt worden ist. )
Pupikofer hielt wenigstens theilweise den Inhalt der Schenkungsurkunde für echt, aber nicht Karl Martell, sondern Karl den Dicken für den Schenker, und Jahrzahl und Datum etwa aus dem Grunde geändert, um das Alter des Besitzthums um 150 Jahre heraufzurücken.
Der Kampf, ob echt oder unecht, mag auf dem Gebiete seine Erledigung finden, wo er entstanden ist; immerhin wäre sicher im letztern Falle mit der Folgerung zu weit gegangen, eine historische Grundlage fehle, und sei damit in Frage gestellt, daß Ermatingen, wie sie sagt, Anfangs des achten Jahrhunderts eine königliche Domäne, villa regalis war, also gleich den mitgenannten Orten einer jener damals noch in der Seegegend zerstreut vorkommenden Reste der Allemannen-herrschaft.
Die Gefälle solcher Domänen waren eigentlich zur Be streitung des königlichen Hofhaltes bestimmt, daher sie den Namen königliches Tafelgut trugen; in der That aber entschä digten sich an denselben die Edelleute, welche dort an der Gaugrafen statt des Reiches Hoheit verwalteten, dafür, daß sie keine Besoldungen bezogen, in so ausgiebiger Weise, dass dem Könige im Laufe der Zeit davon wenig mehr als der leere Titel verblieb.
Bei dem geringen Nutzen, welchen somit diese Domänen dem entfernten Landesherrn abwarfen, und bei dem Eifer, mit welchem sich angeblich der auf Sandegg wohnende Verwalter dieser Gefälle - die Klosterlegende nennt ihn Sintlas - für die Gründung des Klosters bethätigt haben soll, ist die Erklärung nahe gelegt, warum das letztere bald sich in Er-matingen Besitz und Rechtsame erwerben konnte, und daß, wenn auch der vollständige Erwerb der Grundherrschaft daselbst sich noch nicht so mit einem Akt vollzogen haben mag, und eigentlich erst 1446 mit dem Erwerb des jus advocati von den Herren von Klingenberg seine Abrundung erhielt, dieses doch schon für die Zeiten Karls des Dicken (884 bis 887) als eine in der Wesenheit fertige Thatsache gelten konnte, so daß sie das Bestreben, das Ansehen des im Laufe der Zeit herabgekommenen Klosters durch schriftliche Fixierung alter Tra ditionen zu heben, zu dem Falsum verleiten mochte, den all mäligen Erwerb während 150 Jahren in einer Klammer zu sammenzufassen und, ausgeschmückt mit dem Nimbus, der sich an den Namen Karl Martells knüpfte, bis in die Zeiten der Gründung hinauf zu datieren.

Nicht minder als die Angabe über Zeit und Art des Erwerbs von Ermatingen seitens des Klosters trägt im weitern aber auch die Angabe, dass es diese Schenkung, ja seine Gründung selbst, der Verwendung eines auf Sandegg residierenden fränkischen Landvogts, Sintlas, verdankt habe, mehr das Gewand der spätern Sage als der Zuverlässigkeit; denn es würde nicht sehr für die Dankbarkeit der Mönche sprechen, daß der Name Sintlas in dem Nekrologium des Klosters, das doch spätestens schon aus der Mitte des neunten Jahrhunderts stammt, in der Reihe der Wohlthäter desselben, deren Gedächtnis durch Messen und Gebete in Ehren zu halten verordnet wird, gar nicht vorkommt; auch geschieht überhaupt in den Urkunden aus jener Zeit eines Sintlas als fränkischen Land - Vogts in der Gegend nirgends Erwähnung, und erst in viel späterer Zeit, im dreizehnten Jahrhundert, kommt Sandegg zum ersten Male urkundlich, und zwar als im Besitz der wegen ihrer Freigebigkeit für religiöse Stiftungen vielgenannten Edeln von Steckborn vor, und wird dabei weder feiner baulichen Anlage noch seiner Bedeutung nach besonders hervorgehoben.
Der Grenze des Ortsbannes wird zuerst in der Offnung erwähnt als „von dem gräbli ze Mannebach uff der lantstraß untz zue dem agelsturbach;" sie ist heutzutage noch ganz dieselbe und mag es wohl schon zu Zeiten des Uebergangs gewesen sein, da sich durch das ganze Mittelalter an solchen weniger als auf allen übrigen Gebieten Veränderungen auf friedlichem Wege machen ließen.
Die einst ursprünglich wohl mit Triboltingen, Fruthweilen, Salenstein und Mannenbach bestandene gemeine Markgenossen-

schaft scheint schon damals einer festen Gliederung der Ort schaften in Unterabteilungen Platz gemacht zu haben und be stand nur noch in theilweise gemeinsamen Nutzungsrechten an Wald und Weidgang; eine Erinnerung aber an diese einstige gemeine Markgenossenschaft gieng in das neue Verhältnis zur Reichenau über und hat sich durch den Wechsel aller Jahr hunderte bis heute erhalten: der kirchliche Verband der einst dieselbe bildenden Ortschaften.
Wer die Kirche in Ermatingen gestiftet hat, weiß man nicht. An Mitwirkung der Dorfbewohner darf dabei kaum ge dacht werden; solchen Kundgebungen religiösen Sinnes begeg net man zur Zeit überhaupt nur in den Schichten der Herren, und den Hörigen und Zinsleuten dabei nur als Schenkungs objekte, nicht aber als Schenker selbst; auch deutet die Wid mung an den sonst nicht oft in der Ostschweiz als Kirchen patron vorkommenden fränkischen Bischof Albin von Tours, gest. 549, unverkennbar darauf hin, daß die Kirchenstiftung ein Herrenwerk war.
Schon vor der Verlegung des Bischofssitzes von Windisch nach Konstanz hatte sich die Aufmerksamkeit glaubenseifriger Männer auf die Zustände der Seegegend gelenkt und sie zum Felde ihrer Thätigkeit gemacht. Es galt dabei weniger, dort zu missionieren, als das Vorhandene zu konservieren; denn wohl waren oder wurden die Bewohner in der ersten Zeit der fränki schen Herrschaft Christen; aber mit der dünnen Decke von christ lichem Zeremoniell war nur zu spärlich die Erinnerung an den von den Vätern her ererbten heidnischen Glauben verlarvt. Für ihre Bestrebungen boten ihnen daher allerorts gerade die von christlichen Edelleuten verwalteten königlichen Tafelgüter die lohnendsten Aussichten dar, und aus solcher Begünstigung mag wohl auch die Stiftung einer Kirche in Ermatingen hervorgegangen sein; sie scheint seit den ältesten Zeiten einen eigenen Pfarrer gehabt zu haben. Bei oder wenigstens in Folge des Uebergangs an die Reichenau scheint auch die Kollatur mit übertragen und zeitweise die Pastoration dann von dort aus, sei es gesondert, sei es in Verbindung mit derjenigen der Kirche zu Oberzell, besorgt worden zu sein.
Die Schenkungsurkunde, falls ihr Inhalt echt wäre, gedenkt einer Kirche in Ermatingen nicht; die Klosterchronik von Gallus Oheim aber nennt schon um die Mitte des achten Jahr hunderts einen „Pfaffen" Hildemar zu Ermatingen, den sie beschuldigt, dem Kloster ein schönes Meßbuch und etliche andere Bücher ausgeführt zu haben.
Obgleich das Sprüchwort sagt, unter dem Krummstab sei gut wohnen, so bekam Ermatingen früh genug Anlaß, zu erfahren, daß Sprüchwörter bisweilen auch ihre bedenklichen Kehrseiten haben, und daß, wenn Aebte und Bischöfe sich über des Apostels Ausspruch: „Trachtet nicht nach dem, das auf Erden ist!" (Colosser 3, 2) den Text auslegten, die Unterthanen mindestens so schlimm daran waren als die unter sich fehden den weltlichen Herren. Im Jahr 1249 verbrannte Ermatingen in dem Kriege zwischen Bischof Eberhard II. von Kon stanz mit Abt Berchtold von St. Gallen, als ersterer „begunt ungewohnlich Ding an Abt Berchtolden und sin Gottzhus ze müten.
„Bei den Herren," sagt der Appenzeller Chronist Walser, „war damals lauter Feuer, Eifer, Haß und Zorn, bei den Unterthanen nichts als Seufzer, Jammer, Klag und Weinen."
Stille, gleichmäßige Tage folgten den wilden Stürmen; lange Zeit findet sich von Ermatingen nichts anderes als Käufe, Täusche, Vergabungen zum Heil der Seele und Namen solcher verzeichnet, welche dabei Zeugen waren; wer sich aber die Mühe nimmt, näher auf diese Urkunden einzugehen, wird nicht ohne Verwunderung ersehen, wie sehr, während er sich das Erma-tingen von damals mehr als ein bloßes Fischerdorf vorgestellt, schon um die Zeiten des Uebergangs fleißige Hände auch den fruchtbaren Boden, namentlich in den ebenern Lagen, gepflegt haben. Daß Weinbau schon vor dem achten Jahrhundert in Ermatingen betrieben wurde, während auf der Reichenau man erst um das Jahr 818 damit begonnen, beweist der Umstand, daß Ermatingen nach seinem Anfall an das Kloster unter anderm die Verpflichtung zugewiesen wurde, demselben den Abendmahlwein zu liefern.
Schon sehr frühe kommen in diesen Urkunden Abtretungen von Weinbergen vor. So z. B. überläßt 1181 Abt Diethelm der Kirche in Oberzell als Ersatz für einen von ihm veräußer ten Hof in Bräunlingen, welcher Eigenthum derselben gewesen war, einen Weingarten bei Ermatingen. 1209 stiftet der Domherr Werinher, Leutpriester der gleichen Kirche, eine Pfründe in der St. Pelagiuskapelle in der Reichenau und gibt hiefür einen Weingarten bei Oberzell, den er vom Abte gegen Ueberlassung eines von seinen Eltern ererbten Weingartens in Ermatingen, unterhalb des Kirchhofs gelegen, eingetauscht hatte; dieser Weingarten bildet noch gegenwärtig, nach nun bald 700 Jahren, einen Theil des evangelischen Pfarrpfrundgutes; dabei läßt auch nicht minder der Umstand, daß schon um 1260 urkundlich drei Mühlen in Ermatingen erwähnt werden, auf starken Getreidebau schließen.
Als Besitzer von größeren Güterkomplexen werden die Edlen von Steckborn auf Sandegg, die Edlen von Salenstein und Riedern, 1282 ein Ulricus dictus de Fruthwilen, und im fünfzehnten Jahrhundert vielfach Namen aus Konstanzer Patriziergeschlechtern genannt, welche ihrerseits solche durch Leute aus dem Dorfe bearbeiten ließen. Freie Hofbesitzer, welche nach den Andeutungen der Schenkungsurkunde vorhanden gewesen sein müssen, verschwinden als solche vollständig, oder zeigen sich nur noch wie die Otten am Hard als bevorzugte Lehensträger des Klosters Reichenau, seit 1241 urkundlich als Zeugen bei vielen Rechtsgeschäften desselben eben so oft ge nannt, als bei seinen steten Geldverlegenheiten von ihm um Darleihen beansprucht. Es ist anzunehmen, daß es die letztern nicht immer zurückzuzahlen im Stande war, und wäre damit theilweise der Erwerb der beträchtlichen Zehentrechte erklärt, welche sich in der Folge mit dem Besitze von Hard verknüpft finden und erst 1865 vollständig abgelöst worden sind.
1347 werden der Ott am Hard und sein Sohn als Zeu gen genannt, als Diethelm der Schenk von Salenstein, der letzte seines Stammes, das Meieramt in Ermatingen, welches seine Familie bisher als Lehen des Klosters erblich besessen hatte, dem Abte um 246 Pfund käuflich abtrat. Ob Verwandt schaftsverhältnisse mit dem bisherigen Inhaber berücksichtigt wur den oder erwiesene Dienste damit belohnt werden sollten, daß 1348 dann das Meieramt auf die Dauer von zwei Jahren dem ältern Ott verliehen wurde, ist nicht zu ermitteln; auf ein Verwandtschaftsverhältnis der Otten am Hard und der Edlen von Salenstein könnte geschlossen werden, weil nach dem bald nacheinander erfolgten Aussterben beider Geschlechter Hard und Salenstein sich als zusammengehörendes Besitzthum in gleicher Hand, im Besitz der Konstanzer Patrizier Muntpraten, zeigen. 1369 verpfändet Abt Albrecht dem ältern Ott für eine Schuld von 30 Pfund Pfenning die Zinsen des Kelnhofs zu Ermatingen.
1371 verpfänden Abt und Konvent dem Ott am Hard zwanzig Manngrab Reben im Pflanzerhof für eine Schuld von 30 Pfund; lösen Abt und Konvent die Schuld vor Johanni, so gehört der Jahresertrag ihnen, lösen sie dieselbe nach Jo hanni, so gehört er dem am Hard.
1373 verpfänden ihm dieselben den Kirchenzehnten zu Er matingen, Landrechtswille und Windtrotswille für 200 Pfund Heller.
Als die letzte des Geschlechts deren genannt am Hard erscheint urkundlich 1387 eine „ehrbare Jungfrau" Amalia, vermuthlich damals schon in vorgerückterm Alter stehend. Wohl war 1387 ein so gesegnetes Weinjahr, daß man ein Fuder Wein um zwei, und ein fudrig Faß um drei Gulden verkaufte. Dagegen war aber, sagt Tschudi, „auch großer Unrath aller orts mit Krieg und kam auch ein grausamer Sterbent und „Pestilenz in's Land, also daß groß Betrübnis war."
Die herbe Zeit ist auch an ihr nicht spurlos vorübergegangen, „fleißig bei sich überlegend, wie von der Zeit an, da „wir geboren werden, wir one Verzug dem Zill des Tods „zueillend, uns keine Hoffnung übrig, wir wöllend denn von „dem Samen der guten Werke schneiden," stiftete sie, „damit „sie auch ihre Sichel in dem künftigen Leben in die Erndt „schlagen könne," für ihr und ihrer Voreltern Seelenheil die Frühmeßpfründe, mit einem Altar zu Ehren der hl. Katharina in die Pfarrkirche und bestellte zu derselben einen Kaplan, der jede Woche zum wenigsten drei Mal zu Aufgang der Sonne oder um selbige Zeit die Messe versehen und im übrigen an Sonn- und Festtagen dem Pfarrer im Gottesdienste behülflich sein solle. Der Kaplan hatte bis zu ihrem Tode Wohnung in ihrem Hause am Hard; nach ihrem Absterben mußten ihm sodann ihre Erben 20 Pfund Konstanzer Währung bezahlen, damit er sich anderswo ein Haus verschaffen möge. Ihre Stiftung stattete sie so reich mit Gütern und Zinsen aus, daß von dem ausgedehnten Besitzthum derer genannt am Hard später den Erben nur noch das Haus Hard nebst Hofreite und Mühle im Tobel verblieb.
Fast neidisch mochte der Pfarrer selbst Vergleichungen zwischen seiner eigenen und der so gut dotierten Stelle dieses neuen Kaplans anstellen; denn der üble Haushalt einzelner Aebte und die fortwährenden Raufereien mit seinesgleichen hatten in jenen Zeiten das einst so mächtige Stift Reichenau derart heruntergebracht, daß der Name Reichenau fast wie ein Spottname klang und es nach allen Richtungen begehrliche Hand ausstrecken mußte, um sich aufrecht zu erhalten. Nach dem bereits 1326 der beträchtliche Kirchensatz von Steckborn dem Kloster inkorporiert worden war, folgte 1359 auch der jenige von Ermatingen, zwar unter dem Versprechen eines ge hörigen Einkommens für den Pfarrer, bezüglich welcher Be stimmung aber in der Folge Pfarrer und Kollator nicht immer gleicher Meinung gewesen zu sein scheinen. Nach dem lliber decimationis vom Jahre 1275, früher im bischöflichen Archiv Konstanz, z. Z. im erzbischöflichen Archiv in Freiburg befind lich, bestand das Einkommen des Pfarrers für Ermatingen und die St. Johannpfründe in der Reichenau in 40 Pfund und 4 Schilling an Geldwerth angeschlagen; es mag aber in der That wohl meist in Naturalien und Viktualien und nur zum kleinern Theile in Geld bestanden haben.
Glücklicher als die Kirche entgieng das dörfliche Gemein wesen selbst dieser Begehrlichkeit. Im großen Ganzen war der Uebergang an das Kloster nicht viel anderes als eine Hand änderung von einem Gläubiger an einen andern „mit bisheri gen Rechten und Beschwerden." War an sich die Hörigkeit auf den königlichen Tafelgütern im Vergleich mit andern der art, dass die Leute daselbst fast den Freien gleichkamen, so scheint das Kloster in der Folge diesen Zustand als gegebene Thatsache hingenommen und sich ungewohnter Forderungen so ziemlich enthalten zu haben; deshalb lebten denn auch bis auf die Zeiten der konfessionellen Zerwürfnisse im allgemeinen Herr und Unterthan meist so ziemlich in gutem Einnernehmen, und als 1507 der Bischof von Konstanz die Vereinigung des Stiftes Reichenau mit dem Bisthum Konstanz anstrebte, waren die Ermatinger lebhaft dabei, die Intervention der regierenden Orte gegen dieses Vorhaben anzurufen.
Je beschränkter Erwerb- und Lebensverhältnisse waren, um so mehr gab sich das Bedürfnis dar, die alten Bräuche zu festem, altem Recht zu gestalten, um der Zumuthung vorzubeugen, daß es sich damit nur um künd- und dehnbare Libera-litätsakte ihres Herren handeln könne; sehr frühe geschah daher die schriftliche Aufzeichnung in Form der Öffnung. Die älteste bekannte Öffnung von Ermatingen ist diejenige, welche sich früher im Besitz des Freiherrn von Laßberg befand. Sie besteht aus fünf handbreiten Pergamentstreifen und mag aus dem Ende des dreizehnten oder Anfang des vierzehnten Jahrhunderts stammen, Eine erneute Ausfertigung von 1518 liegt in der Gemeindelade, mit Weglassung weniger im Laufe der Zeit veralteter Bestimmungen und mit einigen ergänzenden Zusätzen. Ermatingen wird dabei in der altern Öffnung mit der Bezeichnung Hof oder Dorf, in der spätem dagegen mit dem volltönenden Namen Flecken aufgeführt. Die Redeform in beiden ist nicht Kanzleistil; sie ähnelt bisweilen fast derjenigen, wie sie heutzutage hin und wieder in den Gemeinde versammlungen zu hören ist.
„Der Herr von Ow," heißt es, „mag an das Meiengericht kommen und da hören, was seines Rechtens sei."
Der Herr von Ow soll dem Flecken kein Neuerung machen, in kein Weg, noch jemand das seinetwegen thun, es sei denn mit einer Gemeind Gunst und Willen; denn man soll sie be lassen bei ihrem alten Herkommen.
Der Ort soll so frei sein, daß er sein eigen Stock und Galgen haben soll: eine Redeweise, welche nicht etwa buch stäblich zu nehmen, sondern den vorgenannten Bestimmungen größern Nachdruck geben sollte, und namentlich auch darauf abzielte, jeder willkürlichen Einschiebung von Fremden in das Dorf seitens des Gerichtsherrn entgegenzutreten, gleichviel, ob es sich dabei um einen Einzüger blos zu Erwerbszwecken oder um Besetzung einer Amtsstelle im Dorf handelt.
Der Abt, obgleich Vogt und Herr, kann niemanden ein seitig den Einzug in's Ort bewilligen. Keiner darf einziehen ohne eines Herren Gunst und auch eines Fleckens, und wem das gestattet wird, der zahlt einem Herrn von Ow fünf Pfund, dem Flecken aber zehn Pfund.
Die Dorfgenossen ernennen ihre Beamten, nach der ältern Öffnung Keller und Weibel, nach der spätern Bürgermeister, Rath und sonstige Angestellte, selbst, der Abt einzig den Ammann als seinen Stellvertreter und die Richter, darf dieselben aber nur aus der Zahl der Gotteshaushörigen nehmen.
Ein Zug von Humanität, wie er sehr oft in solchen Dorfrechten vorkommt, findet Ausdruck in den Bestimmungen über den Bezug der herrschaftlichen Gefälle: Faßnachthühner und Hauptfall.
Wäre, sagt diesfalls die Öffnung, daß einer ein Frau hätt, die im Kindbett läg, so soll eines Herren Bott dem Huhn das Haupt abbrechen und das dem Herren bringen, das Huhn aber hinder sich in das Haus werfen und soll die Frau das Huhn essen, - und bezüglich des Hauptfalls: ein Herr von Ow soll Fäll und Geläß den rechten Erben des dritten Pfenings näher zu lösen geben.
Welch ein geachtetes Thier im dörflichen Viehstand ein Hahn war, zeigt die Bestimmung über Bezug von Besthaupt und Hauptfall: Hätte der Erblasser kein Vieh weder zu Hause noch auf dem Land, so mag der Herr für den Hauptfall einen Saum Wein aus dem Faß lassen; hat er aber einen Hahn im Hause, so behebt der den Erben von diesem Saum Wein.
Neben der strammen Ausmarkung gegenseitiger Rechte und Pflichten von Herr und Dorf wird die Begleitung über das, was für die täglichen Vorfallenheiten, und was in Flur und Feld von jedermann zu beachten sei, ohne weitgehendes Reglementieren abgethan. Wer sich dagegen vergaß, dem schärfte in der spätern Redaktion eine Reihe von Strafbestimmungen das Gedächtnis an Recht und Brauch, ohne daß dabei Besonderes und Eigenartiges herauszuheben wäre. Nach dem, was Flur und Feld beschlägt, wird das Kapitel der Raufhändel am ausgiebigsten behandelt und einzelne Bestimmungen machen den Eindruck, als hätten zu denselben gerade spezielle Erlebnisse vorgelegen, so z. B. wenn ein fremder Knecht beim Hacken, oder wenn man heimfährt, Streit anfienge und es nicht Ruhe gäbe, wofern einer aus dein Flecken zur Ruhe mahnte, so soll ihm kein Recht gehalten werden, wenn ihm dieser eine handgreifliche Zurechtweisung, einen Jagstreich, zukommen läßt, falls diese nicht etwa gefährliche Folgen nach sich zieht. Oder: wenn zwei strei ten und es ist kein Vorgesetzter zur Hand, um Frieden zu bieten, so mag jeder, der dem Herrn von Ow geschworen hat, bei zehn Pfund Pfenning Fried bieten; bleibt das erfolglos, so mag er bei hundert Pfund und an Leib und Gut und an Eid bieten, und soll das Gebot also kräftig sein, als ob das der Herr selbst gethan hätte.
Die alte Volksansicht, daß es bei gewöhnlichen Freveln dem Beleidigten freistehe, sich mit dem Fehlenden abzufinden, wird zwar nicht abgethan; aber damit das Strafrecht und die Einkünfte des Gerichtsherrn nicht allzusehr dadurch beeinträch- tigt werden, in der spätern Öffnung matt gelegt, indem sie bestimmt: Wäre ein Frevel begangen, es wäre einem Herren angezeigt oder nicht, so soll der Herr der erste Kläger nicht sein; wäre aber, daß man einander nit suchen wollt, so mag ein Herr seine Klag führen.
Bei Bäckern und Weinschenken wird scharf auf gute Ordnung gesehen; der Vogt und drei von der Gemeinde halten Brotschau; wessen Brot die Schau nicht hält, der zahlt dem Herren fünf Schilling Buße und der Gemeinde auch fünf.
Der Bäcker soll an einem Brot, das einen Schilling werth ist, nicht mehr als einen Pfenning gewinnen.
Wer Brot bäckt und Wein schenkt, soll auch denen nichts versagen, die nicht baar zahlen können, wenn sie Pfänder geben, die des dritten Pfennings besser sind, ausgenommen sind die „blutigen Pfande," Viehhabe. Werden die Pfänder binnen Vierzehn Tagen nicht eingelöst, so mag der Gläubiger dieselben versteigern lassen.
In der Osterwoche wird bei allen, die Wein schenken, das Maß untersucht; unrichtiges wird mit der großen Buße bestraft. Die Gemeinde bestimmt alljährlich den Ausschenkpreis, und es gilt dabei als Regel, daß ein Wirth an einem Fuder Wein nicht mehr als höchstens vier Gulden und fünf Schilling gewinnen soll.
Abends vom Ave-Maria-Lauten an bis Morgens zum Ave-Maria-Läuten ist kein Wirth verbunden, noch jemandem etwas zu geben, es sei denn, daß derselbe eine Kindbetterin oder einen fremden Gast im Hause hätte.
Weder die Gemeinde noch der Abt sollen denjenigen plagen, der für eine schuldige Buße Tröstung (Bürgschaft) geben kann. Wer Pfand zu geben hat und es versagt, ist der großen Buße verfallen. Versichert der Schuldner auf sein Treu, daß er keine Pfänder zu geben im Stande sei, weder liegende noch fahrende besitze, und wird das richtig erfunden, so mag der Gläubiger dem Weibel zwanzig Pfenning geben, daß er den Schuldner an der Laube öffentlich verrufe; ist dieses geschehen, so soll fortan niemand mehr mit ihm Verkehr haben. Wer das übersieht, den mag der Gläubiger für die Schuld am Recht nehmen, und überdies soll auch dem Schuldner aus dem Flecken geboten werden.
Nach der ältern Öffnung halt der Abt sein Gericht um Mitte März, nach der spätem im Mai, „und wenn es ihm dabei am Tag gebricht, so mag er bei einem Schaub richten." Die Gemeinde besorgt ihre Angelegenheiten nach Bedürfnis. „Wenn man an ein Gemeind lüt," sagt diesfalls die Öffnung, „so soll aus jeglichem Hus, darin ein Mannsnam ist, ein Mann unverzüglich an ain Brugg kommen und losen, was der Mere sy, und wer das nit hielt und nit käme, den mag der Herr pfänden um drei Schilling Pfenning, ohne Gnade."
Ferner: „wenn man Sturm lüt, so soll jedermann an die Brugg laufen, es werre denn, daß es brenn, so soll man zum Für kehren, es sei denn ein offen Krieg; was man sich dann einet, demselbigen soll man nachkommen, und weller sich sumt und nit käme, der ist einem Herrn von Ow verfallen fünf Pfund Pfenning und dem Flecken auch fünf Pfund, er habe denn einer redlich Ursach, das er anzeige, das genug sei."
Hieraus geht hervor, daß Gemeindeversammlungen selbst noch im fünfzehnten Jahrhundert nicht in einem Hause, sondern noch immer unter freiem Himmel abgehalten wurden; der als Versammlungsort für alle Vorfallenheiten von allgemeinem Interesse genannte Platz „an der Brugg" war der Platz zwischen dem Adler und dem jetzigen Rathhaus, er kommt unter diesem Namen etwa noch gelegentlich in Urkunden Anfangs des sechszehnten Jahrhunderts vor. Angesichts der jetzigen Gestaltung könnte man sich wohl mit dieser Bezeichnung schwer zurecht finden. Erst 1501 baute man ein Rathhaus, zugleich eine nach der Sitte der Zeit für gesellschaftliche Zusammenkünfte der Bürger bestimmte Trinkstube auf dem Platze, wo das gegenwärtige steht, und erkaufte ihn hiefür von Jörg Fehr, Stadt-schreiber zu Ravensburg, um einen jährlichen Zins von zwei Pfund Pfenning, zahlbar auf Martini an einen Hafen von Landschlacht; damals stand auf demselben noch die Ruine eines beim Ueberfall im Jahr 1499 größtentheils abgebrannten Hauses. Die Öffnung ist, wie alle ihresgleichen, kein das gesammte Nechts- und Verwaltungsgebiet der Gemeinde umfassendes Statut, und die Phantasie hätte daher einen weiten Spielraum, an der Hand derselben ein Lebensbild damaliger Zeit auszumalen. Wie nach Bodenstedt im Gesichte eines Menschen auch seine Geschichte deutlich zu lesen ist, so ist die Bauart eines Ortes, mit allem, was drum und dran hangt, meist auch ein getreues Konterfei seiner Bewohner. Die Öffnung enthält weder Bestimmungen über Straßenpolizei noch Baureglemente; noch zeigt das Dorf, wie manch anderes, hochgiebelige alte Häuser aus jener Zeit, Bauten mit nach oben vorspringenden Stockwerken, Erker, an welchen Steinmetzen oder Holzschnitzler ihrer Kunstfertigkeit Ausdruck zu geben bemüht sind, oder mit andern Spuren der Behäbigkeit ihrer einstigen Bewohner; die ältesten Häuser sind alle von gleich nüchternem:, monotonem, stets auf das Materielle ihres Eigenthümers berechnetem Ansehen und zeigen, daß daran der Waldreichthum der Gemeinde ausgibigst zu Nutzen gemacht wurde; einzig die Kirche, soweit sie von der Zerstörung am 11. April 1499 verschont blieb, zeigt künstlerischen Sinn, der weit über das landesübliche Maß der gewöhnlichen Dorfbauten geht, und läßt es sehr bedauern, daß die Schriften des Klosters Reichenau, aus welchen über die Zeit der Erbauung u. s. w. nähere Aufschlüsse zu hoffen gewesen wären, so ganz verloren gegangen sind; denn wie ihre spätem Nachkommen auch, so hatten die Dorfleute selbst stets mehr Sinn für's Geflügel als für die Federn.
Mit ziemlicher Vollständigkeit läßt sich dagegen seit 1400 das Verzeichnis der Geistlichen erstellen. Zunächst treffen wir 1402 bis 1430 als Pfarrer einen Konrad Loffar (d, h. Laufer), wahrscheinlich einer bemittelten Ermatinger Familie an-
gehörend; als solchen läßt ihn die für sein und seiner Eltern Seelenheil gemachte beträchtliche Jahrzeitstiftung vermuthen. Seiner Verwendung gelang es, 1406 von Abt und Konvent eine Verbesserung des durch die Inkorporation des Kirchensatzes sehr geschmälerten Pfarreinkommens durch Zuweisung verschiedener Zehentrechte zu erwirken, welche indessen seinen Nachfolger Nikolaus Remstett 1433 mit der Gemeinde in lange Streitigkeiten verwickelten, bis ein schiedsgerichtlicher Spruch dieselben dahin beilegte, daß dem Pfarrer zwar das Recht auf Bezug des Neugrützehnten zugesprochen, alle übrigen Ansprachen aber als dem Herkommen zuwider von ihm fallen gelassen werden mußten. 1416 kaufte Loffar von dem Gotteshaus zu den Schotten in Konstanz den Weinzehnten von 16 Manngrab der Kirche und dem Pfarrer zugehörender Reben für zehn Pfund guter Pfenninge los.
Zu seiner besondern Erwähnung bietet weniger dieses und die Wahrnehmung Anlaß, daß er eine bei den Klosterherren wohlangesehene Persönlichkeit war, als der für einen Thurgauer Landgeistlichen gewiß seltene Zufall, daß er während seiner Pastoration zwei Päpsten in seinem Kirchensprengel persönlich zu begegnen hatte.
Zunächst Johann XXIII. Veranlassung und Verlauf des Konziliums zu Konstanz, 1415 bis 1418, liegen weit außer dem Bereich einer Ermatinger Dorfgeschichte, und es mag anderswo nachgelesen werden, wie von den drei gleichzeitigen Päpsten, von welchen jeder behauptete, der rechte zu sein, und welche die ganze Christenheit mit ihren Zänkereien erfüllten, einzig Johann XXIII. zu demselben persönlich erschienen war und, in der Hoffnung, durch seine scheinbare Unterwürfigkeit die Versammlung für sich zu gewinnen und von ihr als der richtige Papst anerkannt zu werden, seine Würde in deren Hand niedergelegt hatte, und wie er dann, als in der Folge trotz der Verwendung des Herzogs Friedrich von Oesterreich und der ihm günstigen Stimmung der Italiener die Aussichten hiefür sich ungünstig gestalteten, diesen Schritt bereut und, um die Versammlung zu verwirren und seine Abdankung folgenlos zu machen, sich mit dem Herzog zur Flucht verständigte, zumal ihm in frischer Erinnerung war, wie wortbrüchig man sich bei Huß über alle gegebenen Zusagen und die Verbürgung persönlicher Sicherheit hinweg gesetzt hatte, und sein Verdacht nicht ganz unbegründet sein mochte, daß nächstens Gleiches auch bei ihm der Fall sein könnte.
Während ein vom Herzog veranstaltetes glänzendes Turnier die Aufmerksamkeit auf seine Flucht ablenkte, ritt am Abend des 20. März 1415, Papst Johann, als Botenreiter verkleidet, in einen grauen Mantel gehüllt und eine Armbrust an der Seite, „das sein niemand achten kunt noch erkennen" ( Ulrich von Riichenthal), auf einem dürren Klepper, nur von einem kleinen Knaben begleitet, nach Ermatingen, verlangte im Pfarr-hause einen Trunk und fuhr nach kurzer Rast daselbst zu Schiff nach Schaffhausen, wohin ihm noch gleichen Tages Herzog Friedrich zu Land nachreiste. Obgleich Richenthal (Chronik des Konzils) sagt: „und mocht ihn weder der Lütpriester noch jemand erkennen," so ist doch fast kaum anders denkbar, als dass Pfarrer Loffar zum voraus von dieser Entweichung verständigt und die Vorbereitungen zur Weiterreise von Ermatingen zu Schiff unter seiner Mitwirkung getroffen worden, da bekanntlich der Papst der deutschen Sprache nicht mächtig war. Schwerlich aber mag er sich dabei vorgestellt baben, zu welch folgereichem Begebnisse er damit Handlangerdienst geleistet, und nicht ohne Furcht, deshalb zur Verantwortung ge-zogen zu werden, mochte er sein, als Kaiser und Konzil sofort auf die Flüchtigen fahnden liessen, der Herzog in die Reichsacht erklärt, der Papft seiner Würde entsetzt, verhaftet, wieder nach Konstanz zurückgebracht und in sonderbarer Fügung des Geschickes bis zu seiner Abführung nach Heidelberg im Schloß
Gottlieben in Haft gelegt wurde, wenige Wocben vorher noch einer der gehässigstcn Verfolger von Huss und nun mit diesem gleichzeitig (3. bis 5. Juni) am gleichen Ort Gefangener.
Von ungleich anderer Art ist drei Jahre später, 1418, die Begegnung mit Papst Martin V. Sei es, daß der kluge, gebildete Weltmann Otto de Colonna, den hablichen Pfarrer von Ermatingen bei seiner Besichtigung der Umgegend von Konstanz sonst nicht außer Acht gelassen, oder dass Beziehungen zu dem damaligen Besitzer des Schlosses Salenstein, dem Konstanzer Patrizier Harzer, dazu führten: die Tradition hat sich erhalten, dass Martin V. nach seiner Erwählung zum Papst in Ermatingen gewesen sei, was ganz gut, wenn nicht zuvor schon, bei seiner Abreise nach Schluß des Konzils von Konstanz nach Schaffhausen, geschehen sein mag,
Während des Konzils war die Umgegend von Konstanz bei zwei Stunden im Umkreise von Fremden angefüllt. Begreiflich brachte dieses auch das einfache Dorfleben mit allem, was dort geschah, in Fühlung, und glanzvolle Zeremonien sorgten überbaupt dafür, dass der Schaulust des Volkes der Stoff nicht ausgieng. Die letzte derselben, nach der Volksmeinung gleichbedeutend mit einer Schlussfeier des Konzils selbst, auch diejenige, welche am meisten Schaulustige herbeizog - Ulrich von Richenthal gibt die Zahl derselben wohl etwas stark übertrieben auf gut 150 000 Menschen an - war die Weihe der goldenen Rose, mit feierlichem Hochamte verbunden, am Lätaretag 1418. Sie sollte nach dem Ausspruch des Papstes der Stadt ein stetes Andenken an die große Kirchenversammlung sein. Zum Schluß der Feier ertheilte er auf dem obern Münsterhof Stadt und Land seinen apostolischen Segen und hielt, von Kaiier tind Dürften begleitet, einen Umzug durch die Straneu der Stadt, der alles bisherige übertraf. Die Erinnerung hieran wurde nachher lange Zeit in Konstanz und den umliegenden Orten am Lätaretag theils kirchlich, theils mit Belustigung gefeiert, und es will damit die Entstehung des an demselben in Ermatingen noch immer üblichen Brauches der Groppenfaßnacht (die Bezeichnung als Fischerfaßnacht kam erst in neuerer Zeit auf) erklärt werden.
Schwerlich möchte indessen diese Begebenheit allein genügt haben, um mehr als blos vorübergehend und über die Zeiten der Reformation hinaus Anlaß zu einem Volksfest zu bleiben; denn es lag darin für Ermatingen speziell kein Grund, sich mit einer Feier des Lätaretages besonders hervorzuthun. Damit, daß die Kirche sie als Volksfest unter ihre Fittige nahm, fand vielmehr dort ein Rest uralt germanischen Volkslebens, den Frühlingsanfang mit einem Freudentage zu feiern, eine neue Unterlage und Forterhaltung, ohne das Hergebrachte in andere Formen zu bringen; denn wie schon Jahrhunderte zuvor, blieben auch dabei groteske Maskeraden üblich, an denen sich hauptsächlich die Fischer betheiligten, und wurde unter allerlei Ulk eine ungeheuerlich ausgestattete Strohfigur mit dem Titel „Groppenkönig" herumgetragen und schließlich in den See geworfen.
Zeigt dieses überhaupt, wie zähe sich trotz mehrhundertjähriger Klosterherrschaft die Erinnerung an die alte Vätersitte noch immer in Ermatingen forterhielt, so ist dabei insbesondere bemerkenswert, daß diese Feier bis auf die neueste Zeit sich ausschließlich auf den Staad beschränkte, so sehr, daß dabei schon das unmittelbare Nachbarhaus des letzten zum Stand gerechneten Hauses sich derselben vollständig und als von etwas, das es nichts angehe, enthielt. Woher das kommen mag, daß dieser Gebrauch sich so eigenartig nur in einem Dorftheile und nur in diesem erhalten hat, ist nicht nachweisbar.
Die Sicherung des Fischereigebietes für seine Angehörigen, bei welchen besonders der Ermatinger und der Reichenauer stets erwähnt wird, veranlaßte schon seit den ältesten Zeiten Reibungen zwischen dein Abte der Reichenau und zwischen Konstanz. Wehe dem Unglücklichen, der dabei zu Zeiten dem Gegner in die Hände fiel, wo, was nicht selten, die Parteien sonst mit einander in Hader lagen! Als 1366 Probst Mangold von Rei-chenau und der Klosterherr Ulrich von Klingen einen Konstanzer Fischer am Eichhorn beim Fischen antrafen, stachen sie ihm die Augen aus, und bald nachher drückte Probst Mangold mit eigener Hand abermals fünf gefangenen Fischern von Konstanz die Augen aus, weil sie in seinem Wasserbezirk am Fischen betroffen worden, und schickte sie so den Konstanzern zu. Diese Unthat zu rächen, fielen diese in die Reichenau ein, bemächtigten sich des Schlosses Schopfeln und plünderten und verbrannten dasselbe, sowie die Wohnungen der Thäter und eine Anzahl anderer Häuser. Mitten in der Fülle landschaftlicher Lieblichkeit der Seegegend steht noch heutzutage die Ruine von Schopfeln als Denkzeichen von Thaten, von denen Pupikofer mit Recht sagt: Billig sollte die Geschichte sie verschweigen, wenn nicht gerade sie zeigen müßte, wie weit der Mensch sich verirren kann.
1427 zogen auf Geheiß des Bischofs die Konstanzer mit 300 Mann in den Untersee und nahmen vielen Fischern Garn, Netze und Wehren weg, weil sie, entgegen den Vorschriften der Konstanzer Fischerordnung, den Laich wegfiengen.
1467 abermals Anstände zwischen den Fischern von Ermatingen und denen von Konstanz, wie denn überhaupt dieselben Jahrhunderte lang sich über ihr Fischereigebiet nie verständigen konnten.
Der Uebergang des Thurgaus an die Eidgenossen, als letztere nach der Flucht Papst Johanns, vom Kaiser gegen den deswegen in die Reichsacht erklärten Herzog Friedrich von Oesterreich aufgehetzt, sich desselben bemächtigt hatten, berührte die innere Gestaltung des gemeinen Wesens in Ermatingen wenig, da derselbe mehr die Hoheitsrechte als die niedere Gerichtsbarkeit beschlug und in diese sich die Eidgeuossen so wenig als möglich mischten; er erweiterte dagegen dieGelegenheit für die nicht geringe Zahl solcher, welche, durch die steten kleinen Fehden allerorts gewöhntt, das Kriegsleben dem friedlichen Erwerbe auf heimatlichem Boden vorzogen. Das Zumkriegziehen wurde förmlich gewerbsmässig, so dass Stumpf die Thurgauer im allgemeinen in jener Zeit so schildert:
„Der gemeine Mann ist nit allein zur der Arbeit gericht, sondern auch zumKrieg geflissen und fertig, das sie gemeinlich in allen Kriegen der Helvetier ihr Anzahl für andern aus dar-biethen und sind gewohnlich die ersten im Harnisch, ob sie gleich bisweilen die letzten in Besoldung sind."
Nlicht allen mochte es demnacb glücken, wie 1487 dem Ermatinger Ludwig Ammnann, der für seiue Tapferkeit im Heere des Kaisers Maximilian in den italienischen Feldzügen für sich und seine zwei Brüder Hans und Ulrich und für alle ihre ehelichen Leibeserben mit einem Wappenbriefe belohnt wurde, eine in jener Zeit sehrr hohe Auszeichnung, deren sich nur selten Dorfleute, namentlich aus Landvogteien stammende, zu rühmen bekamen. Wie stark die germanische Gewohnheit des Reislaufens in Ermatingen eingewurzelt war, und wie wenig die zeitweisen Verbote Nachachtung gefunden, zeigt dabei unter anderm 1491 ein Beschluß der Tagsatzungzu Luzern: Jeder Bote soll zum Rathschlag heimbringen, wie man die von Ermatingen strafen wolle, welche sich der wegen Reisläuferei über sie ver-hängten Busse nicht fügen wollen,
1515 erscheint der Bürger Jakob Hungbrüh mit seiner Ehefrau Anna Seger vor Rath und erklärt: dieweil er gesinnt sei, in den Krieg zu ziehen, so vermache er der Kirche sein ganzes Vermögen, liegendes und fahrendes; dagegen soll ihm bei seinem Absterben eine feierliche Jahrzeit begangen werden.
Jahrhunderte hindurch blieb auch später die altdeutsche Luft, in fremde Kriegsdienste zu ziehen, ein hervorragender Zug im Dorfleben, wozu mitunter das Beispiel von Familienangehörigen der Schlossbesitzer von Hard und Salenstein beitrug.
Die Umschau in den gewerblichen Verhältnissen im fünfzehnten Jahrhundert zeigt noch immer das Handwerl sehr schwach auf der Bildfläche, nur etwas Kleinhandwerk zur Deckung der Alltagsbedürfnisse, die Landwirthschaft mebr fleissig als sinnig betrieben, mehrteils auf den eigenen Verbrauch und für den Ueberschuss auf ein gauz kleines Absatzgebiet angewiesen, für Produktenwerth der Marktpreis von Konstanz maßgebend- für Verwerthung von Überfluss in guten Jahren, gleichwie für Beschaffung des Nothwendigen in Zeiten des Mangels n wei-tern Kreisen schreckten fast unüberwindliche Beschwerlichkeiten zurück, daher auffallend schneller und starker Wechsel im Preise, der bisweilen fast lächerlich klingt.
Gegen alle Erwartung ist unter solchen Verhältnissen statt eines sozialen Nothstandes gegen Ende des fünfzehnten Jahr-hunderts die Wahrnehmung häuslichen Wohlstandes, und fiel drum auch bei dem Überfall im Schwabenkriege 1499 „gross Gut" in Feindeshand.

2. Teil