Kloster Reichenau

Die Insel Reichenau im westlichen Bodensee (Untersee) ist heute durch einen Damm (erst seit 1838) mit dem Ufer am Festland verbunden und hat einen Umfang von zirka 4,3 Quadratkilometer. Die Klosterinsel war einst Mittelpunkt des Abendlandes und die Wiege der karolingischen und ottonischen Kunst. Das von den Franken nach der Unterwerfung der Alemannen gegründete Kloster erlangte bald eine für den südbadischen und nordschweizerischen Raum überragende Rolle. Erster Abt war der Westgote Pirmin, einem Wandermönch aus Gallien oder Irland.
Zur Erstausstattung des Klosters gehörten außer der Insel Reichenau die Orte Allensbach, Markelfingen Kaltbrunn, Wollmatingen Allmannsdorf und Ermatingen. Abt Waldo (786-806), der Begründer der Reichenauer Gelehrtenschule und der großen Reichenauer Bibliothek, war ursprünglich Bischof der langobardischen Hauptstadt Pavia und Abt von Saint Denis. Mit seiner Ankunft auf der Insel Reichenau begann das „goldene Zeitalter“ des Klosters. Gleichzeitig war Waldo Erzieher und Berater Pippins, was die Verbundenheit zwischen der Klosterinsel und dem fränkischen Herrscherhaus aufzeigt.

Sein Nachfolger, der Abt Hatto I., war ein eifriger Förderer klösterlicher Bildung und erster Erbauer des Münsters, einer dreischiffigen Kreuzbasilika mit Zwillingsapsiden, die im Jahr 816 n. Chr. eingeweiht wurde. Unter Abt Hatto I. (806-823) wirkte der gelehrte Reginbert als Leiter einer der damals größten Bibliotheken des Abendlandes. In die Regierungszeit des Abtes Erlebad fallen zu Beginn des 8. Jahrhunderts die Anfänge des über 40.000 Namen umfassenden Verbrüderungsbuches. Die bekannteste Gestalt in der langen Reihe der Reichenau Äbte war der um 809 im Bodenseegebiet geborene Dichter Walahfrid Strabo, Verfasser der Vision Wettis, Prinzenerzieher und Zentralfigur in den Machtkämpfen zwischen Kaiser Ludwig dem Frommen und seinen Söhnen. Strabo erhielt seine Ausbildung durch den Erzbischof Hrabanus Maurus, dem größten Gelehrten zur Zeit Karls des Großen. Nach seiner endgültigen Rückkehr auf die Klosterinsel Reichenau und seiner Einsetzung als Abt widmete sich Walahfrid Strabo vornehmlich theologischen Studien.

Rühmend berichtet Walahfrid Strabo, der bis heute wohl als der bedeutendste und bekannteste Abt des Klosters gilt, in einem Brief an Papst Gregor IV. von der Reichen Au am Bodensee. Zirka 20 Kirchen und Kapellen gab es damals auf der Klosterinsel. Die Klosterbibliothek bestand aus mehr als 400 Bänden. Walahfrid Strabo, auch der Schielende genannt, war Zögling der berühmten Klosterschule und ein wichtiger Autor seiner Zeit. Noch heute lebendig ist sein allegorisches Gartengedicht Hortulus (Liber de cultura hortorum), in dem er die Pflanzen des Klostergartens besingt. Ihm zu Ehren hat man jetzt wieder einen Kräutergarten in Mittelzell angelegt.
In der 2. Hälfte des 9. Jh. hatte der Besitz des Klosters eine gewaltige Ausdehnung, zumal dank der Schenkungen Kaisers Karls des Dicken, dem der auf der Klosterschule Reichenau ausgebildete Bischof Liutwart von Vercelli als Kanzler diente. Der Kaiser wurde 888 im Chor des Münsters bestattet. Kaiser Arnulf erhob Abt Hatto III. (888-913) zum Erzbischof von Mainz und zum Erzkanzler des Reiches. In die Zeit um die Jahrtausendwende fällt die zweite glanzvolle Epoche kulturellen Lebens auf der Reichenau. Die Malschule des Klosters zählte damals zu den größten und bedeutendsten im Reich. Auch pflegten die Mönche die Dichtkunst, die Musik und das Kunsthandwerk.

Der Abt Witigowo entfaltete während seiner Amtszeit eine rege Bautätigkeit auf der Klosterinsel. Er fasste die verschiedenen Klosterbauten zu einer baulichen Einheit zusammen. Sein Nachfolger Alawich II. erhielt vom Papst das Privileg der Gleichstellung des Inselklosters mit dem Bischof von Konstanz. Unter dem als streng geltenden Abtes Immo zu Beginn des 11. Jahrhunderts empörte sich der Konvent und erzwang von Kaiser Heinrich II. seine Absetzung. Ihm folgte der bedeutende Abt Berno, der sich auch als Wissenschaftler und Musiker einen Namen machte. Sein bedeutendster Schüler in der neu erblühenden Schule war der vielseitig begabte Gelehrte und Künstler Hermann der Lahme aus einem Grafengeschlecht von Altshausen. Er war Autor einer großen Weltchronik und Komponist des heute noch unverändert gesungenen „Salve Regina“.
Hermann der Lahme, auch Hermann von Reichenau genannt, gilt bis heute als einer der bedeutendsten schwäbischen Gelehrten und Geschichtsschreiber. Er wurde am 18.07.1013 geboren und starb am 24.09.1054 auf der Reichenau. Der Benediktinermönch verbrachte die meiste Zeit seines Lebens auf der Klosterinsel, beschäftigte sich mit Musiktheorie, Mathematik, Astronomie, Dichtung und Geschichte und schrieb die erste erhaltene Weltchronik Schwabens. Abt Berno gab dem Münster im 11. Jahrhundert seine heutige Gestalt mit Markusbasilika und Turmwerk. Im November 1049 weihte Papst Leo IX. auf der Klosterinsel eine Kirche ein. König Heinrich IV. besuchte das Kloster am Bodensee im April 1065. Im Investitur-Streit stand das Kloster Reichenau auf päpstlicher Seite.
Unter Abt Diethelm von Krenkingen zwischen den Jahren 1169 bis 1206, einem treuen Anhänger Friedrich Barbarossas, erstrahlte noch einmal der Glanz der alten Abtei. Nachdem er aber, seit 1189 auch Bischof von Konstanz, im Jahr 1206 auf alle seine Ämter verzichtet hatte und ins Kloster Salem nördlich des Bodensees eingetreten war, begann der geistige und materielle Niedergang des Inselklosters.
Zwar vermochte Abt Albrecht von Ramstein (1259-94) das Klostergut zu konzentrieren und zusammenzuziehen. Es gelang ihm jedoch damals nicht, die schon längst nahezu unabhängigen Dienstleute des Reiches wieder enger an das Kloster zu binden.Trotzdem war es der Verdienst von Abt Albrecht von Ramstein, dass das ganze Nord- und Südufer des Untersees bis ins 19. Jahrhundert reichenauischer Territorialbesitz geblieben ist. 1264 entstand die Kommende Altshausen, die bald zum Sitz des Landkomturs werden sollte. Altshausen wurde 1264 durch den Reichskämmerer Heinrich von Bienburg dem Deutschorden gestiftet.

Einige Jahre nach der Gründung von Altishausen kam es zur Entstehung einer Deutschordenskommende im reichenauischen Gebiet, auf der Burg Sandegg über dem thurgauischen Unterseeufer. Eine Reihe von erhaltenen Urkunden läßt uns hier die meist im Dunkeln liegenden Vorgänge bei der Entstehung einer Deutsdiordenskommende genau erkennen. Es begann damit, daß ein reichenauischer Ritter im Thurgau, Hiltpolt von Steckborn, um das Jahr 1265 seine Burg Sandegg und einen wesentlichen Teil seines Besitzes dem Deutschorden schenkte und ins Kloster Salem eintrat. Auf der Burg wurde nun, wir wissen nicht genau wann, eine Deutschordenskommende eingerichtet, in die bald darauf einige Angehörige des reichenauischen Dienstadels im Thurgau eintraten, vor allem zwei minderjährige Söhne des Stifters. Dazu kamen zahlreiche Schenkungen am ganzen Südufer des Untersees. Diese Vorgänge gingen zweifellos auf Kosten der Abtei Reichenau; denn es waren Angehörige der reichenauischen Ministerialität, die in das neue Deutschordenshaus eintraten, und es waren zum großen Teil reichenauische Dienstlehen, die dorthin geschenkt wurden. Alles reichenauische Lehensgut, das auf diese Weise an den Deutschorden kam, war jedoch für die Reichenau verloren. In den folgenden Jahren läßt sich nun immer wieder eine ganz bestimmte Entwicklung feststellen: Eine Gruppe von reichenauischen Dienstmannen förderte mit allen Mitteln und unter großen persönlichen Opfern die Entwicklung dieser Deutschordenskommende im reichenauischen Gebiet; der Reichenauer Abt hat diese Entwicklung mit aller Kraft bekämpft. Der tiefere Grund dieser Frontenstellung lag offensichtlich in den seit dem Regierungsantritt von Abt Albrecht bestehenden besonders schlechten Beziehungen zwischen dem Abt und seinen Ministerialen, seinem niederen Adel. Der Abt hatte versucht, bei überscharfer Betonung des Hochadelsprinzips die Ministerialen wieder unter seine Autorität zurückzubringen, was Erbitterung hervorgerufen hatte und auf Widerstand gestoßen war. Der Deutschorden aber kannte diesen Unterschied zwischen hohem und niederem Adel nicht; er nahm die Ritter und Dienstmannen für voll. Ein reichenauischer Ministeriale konnte zwar niemals Mönch auf der Reichenau, wohl aber ohne Schwierigkeit Deutschordensritter und sogar Deutschordenskomtur werden; und es mochte für die durch Abt Albrecht niedergehaltenen reichenauischen Ministerialen eine grimmige Genugtuung bedeuten, daß ihre Söhne als geachtete Ordensritter von der Kommende Sandegg herunter den Reichenauer Konventherren sozusagen in die Töpfe schauen konnten.

DIE GRÜNDUNG DER DEUTSCHORDENSKOMMENDE MAINAU

Abt Albrecht von Reichenau war kein Dummkopf. Er erkannte, wie schwer es werden mochte, sich gegenüber der gemeinsamen Opposition seiner vereinigten Ministerialen und der mächtigen Deutschherren durchzusetzen, und er versuchte zunächst, sich mit den Ordensrittern im guten zu einigen. In einem Vertrag von 1270 genehmigte er die bisherigen Erwerbungen gegen Zahlung beträchtlicher Summen; der Orden sollte bis zu einem bestimmten Höchstmaß reichenauischen Lehensbesitz erwerben können, dafür aber die reichenauische Oberhoheit anerkennen. Nur auf der Insel Reichenau und auf dem Nordufer des Untersees sollten die Ordensritter keinen Besitz haben. Aber wenig später schenkte einer der reichsten und selbstbewußtesten Reichenauer Dienstmannen, Arnold von Langenstein, dem Deutschordenshaus Sandegg, die Insel Mainau und große Besitzungen auf dem benachbarten Festland. Auf den Widerspruch des Abtes, der darin einen Bruch des Abkommens von 1270 sehen mochte, kam es zur offenen Fehde. Arnold von Langenstein und seine Söhne schädigten einige Reichenauer Besitzungen, sogar auf der Insel selbst, und die anderen reichenauischen Dienstmannen standen in schadenfroher Neutralität beiseite. Abt Albrecht sah sich auf beiden Seiten des Untersees durch das Zusammenspiel seiner aufsässigen Dienstmannen mit dem Ritterorden in seinem unmittelbaren Besitz eingekreist. Es spricht für seine staatsmännische Klugheit, daß er auch jetzt versuchte, mit dem an Machtmitteln und wohl auch an Rücksichtslosigkeit überlegenen Ritterorden zu einer gütlichen Einigung zu kommen. In einem »Generalvertrag« von 1272 verzichtete das Kloster Reichenau auf alle Rechte an der Insel Mainau und dem Gebiet auf der Nordseite des Bodanrück, von Allmannsdorf bis Dingeisdorf; dafür übergab der Deutschorden dem Abt all seinen thurgauischen Besitz. Die Kommende Sandegg wurde aufgelöst, damit die Kommende Mainau um so fester gegründet werden konnte. Es war eine reinliche Scheidung, durch welche der Reichenauer Abt die bedrohlichen Deutschherren aus dem unmittelbaren Gebiet des Untersees herausbrachte, dafür aber die Entstehung einer geschlossenen Deutschordensherrschaft südlich des Überlinger Sees auf bisher reichenauischem Boden gestatten mußte. Als einzigen Gewinn konnte er den Anfall bisheriger Dienstlehen im Thurgau verzeichnen; und die Burg Sandegg, vormals im Besitz eines widerspenstigen Ministerialen, dann Kommende des Deutschordens, wurde nun der Lieblingssitz des Abtes Albrecht. Durch den Vertrag von 1272 wurden die reichenauischen Herrschaftsverhältnisse am Untersee für lange Zeit festgelegt; zwar gab es in der Folgezeit noch einige Konflikte mit dem Deutschorden, aber dieser blieb im wesentlichen in den jetzt gewonnenen Grenzen, baute seinen Besitzstand zu einem geschlossenen Territorium aus und bemühte sich im übrigen, im gegenüberliegenden Linzgau, vor allem in Überlingen selbst, Fuß zu fassen. Dem Reichenauer Abt verblieb das Nordufer des Untersees von Radolfzell bis Wollma-tingen und das thurgauische Ufer von Ermatingen bis Steckborn, schließlich die Insel selbst. Hier konnte sich mit einiger Geschicklichkeit und vielem Glück ebenfalls eine geschlossene Gebietsherrschaft entwickeln, nachdem unter großen Opfern der gefährliche Einbruch der Deutschherren abgewehrt worden war.
Der Konflikt mit den Ministerialen war über dieser Auseinandersetzung in den Hintergrund getreten, aber er hörte nicht auf. Die Ministerialen vereinigten sich bei mehrfacher Gelegenheit, um ihrem Herrn ihre Macht zu zeigen und ihr Mütchen an ihm zu kühlen. Seine letzte Niederlage gegen die Deutschordensritter der Mainau hat Abt Albrecht von Ramstein im Jahre 1291 erlitten; bei diesem Anlaß findet sich in den Urkunden die merkwürdige Feststellung, der Abt habe sich verpflichtet, in allen Geschäften des Klosters nur nach dem Rat eines Ausschusses von sechs seiner ritterlichen Dienstmannen zu handeln und deren Zustimmung zu allen Rechtsakten einzuholen. Von den sechs Herren stammten zwei, die von Salenstein und von Wellenberg, aus dem Thurgau, zwei vom Bodanrück, die von Dettingen und von Liggeringen, und zwei aus dem Hegau, die von Friedingen und von Langenstein. Es war eine völlige Kapitulation des Abtes vor seinen Dienstmannen, das Ende eines dreißigjährigen Kampfes. Drei Jahre später ist der Abt resigniert gestorben. Das Kloster Mehrerau bei Bregenz kam, wie schon berichtet wurde, nur mit schweren Schäden durch die unruhigen Jahre der späten Stauferzeit. Von der gründlichen Zerstörung durch die Anhänger des Königs Konrad im Jahr 1248 erholte es sich nur langsam. Da es jedoch kein reichsfreies Kloster war und stets unter der Herrschaft der Grafen von Montfort stand, hatte es wenigstens keinen Verdruß mit habgierigen Schirmvögten. Einige tüchtige Äbte der ersten Habsburgerzeit haben dann durch sorgfältige und sparsame Verwaltung die wirtschaftlichen Verhältnisse der Mehrerau wieder in Ordnung gebracht. Dabei spielte der Ausbau der alten klösterlichen Besitzungen im Bregenzer Wald eine besondere Rolle. Hier hatte Mehrerau im 12. Jahrhundert große Schenkungen durch die Grafen von Bregenz erhalten, die sich in großzügiger Weise um ihr Hauskloster kümmerten. Aber auch mit den Erben des Bregenzer Besitzes, dem Grafen Rudolf von Pfullendorf und dem Pfalzgrafen Hugo von Tübingen, scheinen die Mönche gut gestanden zu haben, denn beide werden in der Liste der Stifter und Wohltäter genannt. Abt Meinrad IV. (1175—1187) förderte die Erschließung des Bregenzer Waldes durch große Rodungen; er ist wohl die bedeutendste Gestalt der älteren Klostergeschichte. Der Mehrerauer Besitz im Waldland hatte seinen Mittelpunkt im Gebiet von Lingenau und Alberschwende; dann wurde vor allem das Gebiet um Riefensberg herum durch die Mehrerau erschlossen. Aber auch in zahlreichen anderen der langsam entstehenden Dörfer des Bregenzer Waldes besaß das Kloster Zinsen und Todfallrechte, dazu riesige Eigenwälder, in denen Klosterbauern angesiedelt werden konnten. Weitaus bedeutender als die Rodungstätigkeit der Mönche von Mehrerau ist allerdings die der Grafen von Bregenz und ihrer Nachfolger, der Montforter. Von Bregenz und dem Bodenseeufer aus stießen die ersten Siedler das Tal der Aach hinauf und drangen langsam ins Waldland vor; auf die Bregenzer Grafen geht die Anlage der ersten herrschaftlichen Gutshöfe in Lingenau, Andelsbuch und Alberschwende zurück, die dann Ausgangspunkte für die weitere Erschließung des Landes wurden. Die Besiedlung des Bregenzer Waldes fällt wesentlich in das 12. und 13. Jahrhundert; vor dem Jahr 1100 war mit Ausnahme des alten Hofes Alberschwende wohl das ganze Waldgebiet unbewohnt. Am alten Bregenzer Besitz war, wie schon dargestellt wurde, auch Graf Rudolf von Pfullendorf beteiligt; ihm gehörte vor allem ein großer Teil des nördlichen Bregenzer Waldes, und dieser kam um 1167 durch die Schenkung des letzten Pfullendorfers an die Staufer und an das Reich. Auf diese Weise verfügte das Reich über beträchtliche Besitzungen im Bregenzer Wald, die schließlich König Rudolf von Habsburg seinem Freund Hugo von Werdenberg zu Lehen gab.

Die weltlichen Chorherrenstifte

Von der gesunden Aufwärtsbewegung, die unter dem König Rudolf von Habsburg allgemein einsetzte, zeugt schließlich auch der Aufschwung der weltlichen Chorherrenstifte in den Städten als Mittelpunkten geistiger Arbeit, gediegener Bildung und Gelehrsamkeit. Die bestehenden Einrichtungen dieser Art wurden damals ausgebaut und gaben sich geordnete Statuten, außerdem entstand ein neues Chorherrenstift von Bedeutung, St. Johann in Konstanz.

Bischof Heinrich von Klingenberg

Die auffallendste Erscheinung am Bodensee zur Zeit König Albrechts war der Konstanzer Bischof Heinrich von Klingenberg. In seiner Novelle »Hadlaub« hat Gottfried Keller mit einigen kräftigen Strichen ein Bild Heinrichs von Klingenberg gezeichnet, als des Mannes, der die Anregung und den Auftrag zur Niederschrift der Manessischen Liedersammlung gegeben hat. »Da war (in einem Kreis von kunstsinnigen Patriziern zu Zürich) vor allem Bischof Heinrich von Konstanz, ein schöner Mann mit dunklen Augen und dunklem Haar, mit ernsten, aber geistvollen Gesichtszügen«, und im folgenden wird geschildert, wie der Bischof in der Mitte seiner sangesfrohen Freunde sitzt, alle überragend an Gaben des Geistes und des Herzens, in heiterem Gespräch, wie er den bescheidenen Dichter Hadlaub zum Vortrag seiner Lieder ermuntert und wohl auch selbst die Laute zur Hand nimmt, um die Lieder seiner eigenen Jugend zu singen, voll lächelnder Überlegenheit und Güte. Heinrich vonKlingenbergwar eine der bedeutendsten Gestalten im politischen und kulturellen Leben Süddeutschlands um das Jahr 1300. Er stammte aus dem Thurgau; die Stammburg seines Geschlechts, die Burg Klingenberg, erhob sich bis zum Jahr 1849, als sie abgerissen wurde, in der Nähe von Homburg über dem Thurtal. Das Wappen der Klingenbergerist ein einfacher schwarzweiß geteilter Schild. Ursprünglich sind sie bischöfliche Ministerialen, Dienstleute, niederer ritterbürtiger Adel. Das Geschlecht wird 1220 erstmals erwähnt und kommt in engem Anschluß an den Grafen Rudolf von Habsburg, den späteren König, rasch in die Höhe. Als Heinrich von Klingenberg geboren wurde, hatte er bereits dank der Habsburger Beziehungen seiner Familie einen einflussreichen Verwandten, den Bruder seines Vaters, der als Domherr und Propst zu Konstanz und Chur eine große Rolle spielte. Man muß annehmen, daß er die Entwicklung seines Neffen Heinrich in hohem Maße gefördert hat. Es war überhaupt eine begabte Familie, diese Klingenberger des 13. Jahrhunderts; ein Bruder des späteren Bischofs wurde Bischof in Brixen und in Freising, ein anderer wurde Reichsvogt in Konstanz und ein dritter spielte eine bedeutende Rolle am Hofe König Albrechts. Über die Jugend Heinrichs von Klingenberg wissen wir nichts. Er wird 1259 erstmals als Kleriker erwähnt; zum Studium ging er nach Italien, nach Bologna und Pavia, an die bedeutendsten Universitäten seiner Zeit, und er erwarb dort den Grad eines »magister artium«, eines Meisters der sieben freien Künste, und den seltener vorkommenden Grad eines »doctor decretorum«, eines Doktors des Kirchenrechts. Mit dieser gelehrten Ausbildung hatte er gute Aussichten auf eine einflußreiche Laufbahn. Als der alte Freund und Gönner seiner Familie, Graf Rudolf von Habsburg, im Jahr 1273 deutscher König geworden war, gab es für dessen Freunde und Anhänger gute Zeiten. Ein Vetter des Königs, der ebenfalls Rudolf von Habsburg hieß, wurde 1274 Bischof von Konstanz, und wenige Jahre später trat der junge Klingenberger in das Konstanzer Domkapitel ein, wohl als Nachfolger seines 1279 verstorbenen Oheims. Es war allerdings kaum daran gedacht worden, daß er nun zu Konstanz im Kirchendienst tätig sein sollte; im gleichen Jahr, 1279, wurde er nämlich Protonotar in der königlichen Kanzlei, also einer der leitenden Beamten, nachdem er schon vorher im königlichen Dienste als junger Jurist und Diplomat tätig gewesen sein dürfte. Es entsprach der Sitte der Zeit, daß verdiente Kleriker der königlichen Kanzlei - anderes Personal als geistliches wurde damals kaum verwendet - den wesentlichen Teil ihrer Besoldung in entsprechenden geistlichen Pfründen erhielten. Heinrich von Klingenberg hat im Lauf der nächsten Jahre eine große Zahl solcher Pfründen empfangen, Pfarreien in verschiedenen Teilen Südwestdeutschlands und kirchliche Ämter verschiedener Art, die durch gering bezahlte Kleriker versehen wurden, während er selbst die Einkünfte bezog und den Dienst in der königlichen Kanzlei ausübte. Diese Häufung von Pfründen war zwar durch kirchliches Gesetz verboten, allein es war einem einflußreichen Manne leicht, die erforderlichen Dispensen zu erhalten. Der Höhe¬punkt einer solchen Laufbahn im königlichen Dienst war die Erlangung eines Bischofsstuhles. König Rudolf hat seinen ersten Notar Heinrich wiederholt dafür vorgeschlagen, so für Freising 1283, für Passau zwei Jahre später; gewählt wurde er jedoch nicht, und so blieb er im königlichen Dienst. 1285 wurde er Vizekanzler und damit tatsächlicher Leiter der politischen Geschäfte des Reiches; der eigentliche Kanzler des Reiches, der jeweilige Erzbischof von Mainz, übte dieses Amt höchst selten aus. Mehrmals ging Heinrich von Klingenberg damals in diplomatischer Mission nach Rom zum Papst. Im Lauf der folgenden Jahre erhielt er weitere Kirchenämter, die Propsteien zu Xanten und zu Aachen, das Archi-diakonat zu Köln, Pfründen zu Utrecht, zu Lüttich - dies alles, obwohl er bis dahin nur die niederen Weihen empfangen hatte und noch nicht einmal Subdiakon war und obwohl er nicht gerade ein streng kirchliches Leben führte; jedenfalls wird von einer Tochter aus jener Zeit berichtet, die später als Dominikanerin im Kloster Habstal lebte.

Staatsmann und Kirchenfürst

Heinrichs von Klingenberg politische Tätigkeit nahm ein jähes Ende mit dem Tode seines Gönners Rudolf von Habsburg, denn der neue König war rasch dabei, die Vertrauens¬männer seines Vorgängers aus der königlichen Kanzlei zu entfernen. Einer der ersten davon war Heinrich von Klingenberg, der den Habsburger Herzog Albrecht noch auf seiner Reise zur Königswahl begleitet hatte und für ihn dort tätig gewesen war. Allerdings - ein Beispiel für seine Wendigkeit - hat er es dann doch verstanden, sich auch mit König Adolf zu vertragen; schon ein Jahr nach der Königswahl befindet sich Heinrich von Klingenberg wieder im Reichsdienst. Dann kommt plötzlich die Wende in seiner Laufbahn. Im April 1293 stirbt unerwartet der Konstanzer Bischof Rudolf von Habsburg; bei der Neuwahl bewirbt sich auch der Klingenberger. Er gewinnt allerdings nur die Stimmen der Minderheit im Domkapitel; die Mehrheit erlangt sein Gegner Friedrich von Zollern, und während eines Monats kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen beiden Kandidaten. Dann gelingt es dem diplomatisch geschickten Klingenberger, seinen Gegner gegen eine hohe Leibrente zum Verzicht zu bewegen. Am 6. August 1293 nennt sich Heinrich von Klingenberg zum erstenmal Bischof von Konstanz; die Bischofsweihe ist allerdings erst ein Jahr später erfolgt. Für dreizehn Jahre folgt nun eine Blütezeit des Konstanzer Bistums und des Bodenseelandes, von der man noch lange nach seinem Tode gesprochen hat. Das ganze 14. Jahrhundert hindurch mußte jeder neugewählte Konstanzer Bischof einen feierlichen Eid schwören, das Bistum im gleichen Güterstand auf seinen Nachfolger zu vererben, wie es unter Heinrich von Klingenberg gewesen war. In kirchlicher, in politischer und in kultureller Hinsicht hat seine Tätigkeit tiefe Spuren hinterlassen. Die eigentlichen Aufgaben eines Bischofs, die Pflege des kirchlichen Lebens, scheinen ihm zunächst nicht ganz so sehr gelegen zu haben. Er hat im Konstanzer Münster einen Altar gestiftet, und das Münster verdankt ihm auch den jetzt noch erhaltenen Dachstuhl mit dem Dachreiter. Immer gerühmt wird seine Mildtätigkeit gegen die Armen. Es hätten viele Leute bei seinem Tode geweint, melden die Chroniken. Insbesondere ist er der Stifter des Konstanzer Kleinspitals an der Rheinbrücke, für das er gewaltige Summen flüssig gemacht hat; es war für vierzehn Arme aus der Dienerschaft des Bischofs und des Domkapitels bestimmt. Wie weit er auf das geistige Leben seiner Diözese gewirkt hat, läßt sich nicht feststellen. Wir besitzen trotz der großen Zahl seiner Urkunden keine Anhaltspunkte dafür. Ob er in dieser Hinsicht viel getan hat, möchten wir fast bezweifeln; es paßt nicht ganz zu seinem Charakter. Er war Diplomat und Grand- seigneur, darin liegt wohl überwiegend auch der Grund für seine Mildtätigkeit. Großzügigkeit gegenüber der Umwelt gehörte für ihn ebenso wie ein glänzendes, Auftreten zu den Eigenschaften eines geistlichen Fürsten. Mit gleicher Großzügigkeit setzte er sich aber auch über die kirchliche Pfründenkumulierung hinweg. Er soll eine theologische Schrift über die Engel geschrieben haben, die verloren¬gegangen ist; sonst ist von seinen theologischen Interessen wenig bekannt. Wenn somit seine kirchliche Tätigkeit nicht ganz das bietet, was man von einem bedeutenden Bischof erwarten möchte - wenigstens wissen wir nach dem vorliegenden Material nichts Genaueres darüber -, so ist seine politische Tätigkeit umfassend genug. Er ist in der Reichspolitik tätig, und er arbeitet am Ausbau des weltlichen Fürstentums des Kon¬stanzer Bistums. Seine Beteiligung an der Reichspolitik soll hier nur kurz gestreift werden. Beherrscht wird die Geschichte jener Jahre durch den Gegensatz zwischen König Adolf von Nassau und der habsburgischen Partei, deren Führer Herzog Albrecht, König Rudolfs Sohn, das Königtum anstrebte. Heinrich von Klingenberg, der ja von Haus aus zur habsburgischen Gruppe gehörte, fand sich in den nächsten Jahren mehrfach in Begleitung und im Dienst des Nassauer Königs: 1294 auf einem Kriegszug in Thüringen, 1296 bei der Krönung König Wenzels in Prag. Solche Dienste ließen sich für ihn als Reichsfürsten ohne offene Empörung nicht gut vermeiden. Mit dem Herzen ist er wohl immer Habsburger Parteigänger geblieben. Als es zwischen dem König und dem Herzog zum Kampf kam, war Heinrich von Klingenberg wieder auf seiten des letzteren, und an der Entscheidungsschlacht bei Göllheim vor Frankfurt im Jahre 1298 war er selbst mit einem Aufgebot von dreihundert Konstanzer Rittern und Lehnsmannen beteiligt. Die Erbitterung König Adolfs über diesen Abfall muß groß gewesen sein; er hat gedroht, den Konstanzer Bischof zu verbrennen, falls er gefangen würde. Ein Lied des Sängers Heinzelin erzählt, daß mit dem Ruf »Hei Costinz!« sich der Haufe der Bischöflichen auf den Feind geworfen habe; es heißt dann weiter:

» Von Chastel und von Chlingenberch, die sah man stiften Heldenwerch.«

Der Kampf war so erbittert, daß von den dreihundert bischöflichen Streitrossen alle bis auf drei getötet wurden. In der Folge wurde Heinrich von Klingenberg mit der wichtigsten Mission im Dienste des neuen Königs beauftragt. Um eine Verständigung mit Frankreich herbeizuführen, vermittelte er bei zweimaligem Besuch in Paris ein Ehebündnis der Tochter des Königs Philipp des Schönen von Frankreich mit dem älteren Sohn des Königs Albrecht. Dieses hochpolitische Familienbündnis erreicht zu haben war der wichtigste diplomatische Erfolg im Leben Heinrichs von Klingenberg.

Das Fürstbistum

Seine Tätigkeit für das weltliche Fürstentum des Bischofs von Konstanz steht weniger im Vordergrund; man muß sie aus den zahlreichen Einzeltatsachen herausarbeiten. Bei näherer Betrachtung gewinnt man dabei den Eindruck eines Mannes, der durchaus wußte, was er wollte. Es kam ihm auf ein Doppeltes an: den weltlichen Besitzstand des Bistums zu vergrößern und das Fürstentum verwaltungstechnisch zu organisieren. Zur Erweiterung des weltlichen Besitzes hat er große Mittel aufgewandt und unbedenklich geistliche Einkünfte ausgegeben, Pfarreien und Zehntrechte versetzt oder veräußert, um Burgherrschaften und Städte zu kaufen. Eine andere Möglichkeit als die des Kaufes stand dem Bischof nicht zur Verfügung; er konnte weder Hoheitsrechte und Besitzungen erben, noch sie auf dem Weg der Edelvogtei von Klöstern übernehmen; endlich war es ihm auch nicht möglich, was andere geistliche und weltliche Fürsten damals gemacht haben, in Bergen und Wäldern roden zu lassen und dadurch zu neuen Herrschaften zu kommen. So blieb die einzige Möglichkeit der Kauf, und Heinrich von Klingenberg hat, wie schon seine Vorgänger, im Bereich des Bodensees und darüber hinaus so ziemlich alles gekauft, was gerade feil wurde. Sein Interesse beschränkte sich aber konsequenterweise nur auf Hoheitsrechte, auf Städte, Burgen, Vogteien. Einfacher Grundbesitz, mit dem keine Hoheitsrechte verbunden waren, interessierte ihn nicht. Das weltliche Fürstentum der Konstanzer Bischöfe lag von alters her mit seinem größeren Teil südlich des Bodensees. Schon der ursprüngliche Besitz, den das Bistum bei seiner Gründung in der Merowingerzeit erhielt, war überwiegend im Thurgau. Mittelpunkt war einst die südlich des Rheins gelegene Stadt Konstanz; aber hier hatte der Bischof um 1300 keine große Rolle mehr; Konstanz war weitgehend Reichsstadt geworden. Auch in den beiden einst geschlossenen Herrschaften des Bistums südlich des Sees, in der thurgauischen Bischofshöri und im Arboner Forst, dem weiten Waldgebiet zwischen dem See und dem Säntis, war die alte Machtstellung längst verschwunden oder in eine Reihe von zinspflichtigen Einzelhöfen aufgesplittert. Nur die Stadt Arbon gehörte dem Bischof ganz, nachdem dieses uralte Lehen nach dem Aussterben der Ministerialen von Arbon zurück gekauft worden war. Dagegen besaß das Bistum zwei andere Gebietskomplexe im Thurgau: die Stadt Bischofszell, die eine bischöfliche Gründung war, mit der Vogtei über die alte Propstei, und ebenso die Vogtei über das Klösterchen Fischingen, die von der Burg Tannegg herab ausgeübt wurde. Der größte Teil dieses Besitzes wurde im 13. Jahrhundert durch Kauf erworben. Nördlich des Bodensees lag eine Gruppe von Besitzungen am unteren Argen, eine andere Gruppe um Meersburg und eine dritte um die Burg Hohenbodman im Linzgau. Von diesen war nur Meersburg uraltes Bischofseigen, die beiden anderen Komplexe waren käufliche Erwerbungen. Großenteils uralt, aber durch spätere Käufe ergänzt, waren die Besitzungen auf der Halbinsel Höri. All dies lag somit im Bereich des Bodensees. Innerhalb dieses werdenden Staatswesens spielte die Burg und die Stadt Meersburg eine besondere Rolle. Heinrich von Klingenberg hat sich um Meersburg besonders bemüht, keines der bischöflichen Ämter erscheint so vorzüglich organisiert wie dieses; er hat der Bürgerschaft 1299 vom König die Rechte und Freiheiten von Ulm verschafft, und offenbar hat er auch die Burg beträchtlich ausgebaut. Denn in der Folgezeit ist Meersburg mehr als irgendeine andere Stadt der sichere Stützpunkt der Bischöfe in Notzeiten, und sie waren auch nachdrücklich bestrebt, sich die unmittelbare Herrschaft über die Stadt zu erhalten. Sie haben nie einen Edelvogt zu Meersburg geduldet, und bei aller Ergebenheit an die habsburgische Sache hat Bischof Heinrich von Klingenberg nie daran gedacht, die Festung Meersburg dem Haus Österreich auszuliefern, so wie er es anscheinend bedenkenlos mit Radolfzell oder Aach tat. In einiger Entfernung vom Bodensee lag eine andere Gruppe von Besitzungen. Die Bischöfe des 13. Jahrhunderts haben systematisch am Rhein oberhalb der Aaremündung versucht, eine geschlossene Herrschaft zu erwerben; die Verhältnisse waren dort durch das Fehlen nennenswerter Konkurrenz besonders günstig. Jedenfalls konnten einige Städte - Klingnau, Zurzach, Kaiserstuhl - sowie die Herrschaft Küssaburg gekauft werden; es kam dort zu einer beträchtlichen Konzentration bischöflicher Besitzungen und Rechte und blieb so bis zum Untergang des Bistums.

Das Klingenberg- Urbar

Alles das war eine Vielfalt von Rechten und Gütern; aber nirgends bestand ein geschlossener einheitlicher Block, auf den sich eine Machtstellung aufbauen ließ. Nun war Bischof Heinrich von Klingenberg nicht umsonst durch die Schule der habsburgischen Verwaltung gegangen.

Er bemühte sich, diese Sammlung der verschiedenartigsten Bestandteile zu ordnen und zu einem Ganzen zusammenzuschmieden. Zunächst teilte er nach habsburgischem Vorbild den Besitz in einzelne Ämter ein, » officia«, Außenstellen der Vermögensverwaltung. Dann erhielt jedes dieser Ämter den Auftrag, ein Gesamtverzeichnis aller bischöflichen Rechte und Einkünfte anzulegen. Für den habsburgischen Besitz in der Schweiz, im Elsaß und im Schwarzwald wurde gerade in diesen Jahren 1304—1307 eine derartige Zusammenstellung angelegt: es ist das große, bereits erwähnte Habsburgische Urbar des Meisters Burkart von Frick. Und ein ähnliches Urbar gab nun auch Bischof Heinrich für sein Fürstentum in Auftrag. Dieses in verschiedener Hinsicht denkwürdige Werk ist uns in Abschrift noch erhalten, soweit es überhaupt fertig geworden ist. Jedes der zwanzig Ämter mußte eine Aufstellung der Besitzungen, Rechte und Einkünfte nach Konstanz schicken - die oberschwäbischen Besitzungen sind enthalten in den Ämtern Baumgarten und Eriskirch, in den Linzgau fallen die Ämter Meersburg und Hohenbodman. Zu einer Verarbeitung dieses Materials in ein einheitliches Werk, wie es zweifellos geplant war, ist es nicht mehr gekommen. Im Jahr 1306 starb plötzlich und unerwartet Bischof Heinrich, und sein Werk blieb unvollendet. Aber wir ersehen aus dem Versuch, was ihm vorgeschwebt hat und in welchem Maß er den Staat der Bischöfe von Konstanz organisiert und ausgebaut hätte, wäre ihm ein längeres Leben beschieden gewesen. Beim Pult des Sängers im Münsterchor wurde er begraben; dort wurde vierzig Jahre später seine Leiche noch unversehrt aufgefunden, in die bischöflichen Gewänder gehüllt, mit roten Schuhen an den Füßen und einem Ring am Finger. Unter ihm hat das Bistum Konstanz seine letzten glücklichen Tage gehabt. Sein Nachfolger war der von Avignon aus ernannte Franzose Gerhard von Benar, der sich während seiner langen Regierung nicht um das Bistum kümmerte und auch nicht kümmern konnte; er sprach nicht deutsch und war, wie der Chronist sagte, »der Schwaben Sitte nicht kundig«. Und dann kommt ein Jahrhundert der schweren Wirren, der langen Stuhlerledigungen, der verschwenderischen Bischofe von Brandis, der Gegenbischöfe des Schismas. Unaufhaltsam geht das Ansehen und das Vermögen des Bistums zurück. Als die Leiche Heinrichs von Klingenberg unter den Steinplatten des Konstanzer Münsters begraben wurde, ging eine große Zeit für das Bodenseegebiet zu Ende.

Der auf Reform bedachte Abt Diethelm von Castell versuchte später vergeblich, den ausschließlich dem Hochadel vorbehaltenen Reichenau Kloster auch den Mitgliedern des Ritterstandes zu öffnen. Die teilweise im Jahr 1235 abgebrannten Klostergebäude ließ er wieder aufbauen.



Wappen derer von Brandis

Unter Abt Eberhard v. Brandis (1343-1379) musste 1367 der ganze Klosterbesitz verpfändet werden, der Abt des Klosters Reichenau verkaufte 1367 alle Güter und Rechte seines Klosters an seine Familie. Beim Tod des Abtes Werner von Rosenegg im Jahr 1402 befanden sich nur noch 2 Konventsherren im Reichenauer Kloster. Abt Friedrich von Wartenberg (1427-1453) konnte nochmals mit Mitgliedern des niederen Adels das Kloster Reichenau im Sinne des benediktinischen Mönchsideals für kurze Zeit aufleben lassen. Kurz vor dem Ende der Selbständigkeit des Klosters schrieb der Radolfzeller Chronist Gallus Öhem die Geschichte des Gotteshauses Reichenau nieder.

Im Jahr 1540, das Mittelalter ging nun in die Neuzeit über, verzichtete Markus von Knöringen zu Gunsten des Bischofs von Konstanz auf die Reichenauer Abtswürde. Die Konstanzer Kirchenfürsten waren nun fortan die Herren der des Kloster Reichenau. Sie richteten als Verwaltungsstelle auf der Insel ein Obervogteiamt ein und verwandelten die einstige Abtei in ein Priorat mit 12 Mönchen. Nach langen und vergeblichen Kämpfen des Konvents, vor allem des letzten Priors Meinrad Meichelbeck, um die Wiederherstellung der Abtei wurde das Kloster schließlich durch Papsterlass bereits 1757 vollständig aufgelöst.

In der Folgezeit blieb nur eine kleine Kolonie der Mission auf der Insel. Die Säkularisation löschte das klösterliche Leben endgültig aus. Mit dem Bistum Konstanz fielen die Besitzungen der Abtei durch den Reichsdeputionshauptschluss im Jahr 1803 an das Großherzogtum Baden. Seit 2001 lebt wieder eine kleine Gemeinschaft von Benediktinern auf der Insel und knüpft an die benediktinische Tradition der Klosterinsel an.

Ausflugsziele: Reichenau und Umgebung