Rebbau

Der Rebbau im rund 400 Jucharten messenden Weinberg brachte für Erwachsene und Kinder vom frühen Frühling bis in den Winter hinein mehr als genug Arbeit. Unsere Nordhalde war fast ganz mit Reben bepflanzt, vom Jakobstal über den Spann, Gänsingen, Hohenrain, Scheitingen, Emmig, Wällisatt, Winterberg, Immenberg, Bühl, Glarisegg, Bollander, Acker bis an die Wohnhäuser hin.
Männerarbeit waren namentlich das Schneiden der Reben, das Stossen der Rebstecken, das Umgraben des Rebbodens. Dazu mussten Hilfskräfte eingestellt werden. Als solche kamen unter dem Namen „Gräber“ Männer aus dem benachbarten Hemmenhofen, Gaienhofen, Horn, Gundholzen, sogar aus Iznang und Weiler, also aus der ganzen „Höri“. Dieser Name stammt davon her, dass die ganze Gegend früher dem Bistum Konstanz „hörig“ war. Diese Leute kamen gerne; wir schätzten sie als fleissige, anlehrige „Schwaben“. Diejenigen, die uns gegenüber am See daheim waren, kamen des Morgens mit der Gondel hierher und fuhren abends wieder heim; die anderen nächtigten hier.

Gut zu sehen: Rebbau um Steckborn


Als Taglohn bekamen sie in den 1880er Jahren nebst reichlicher Kost und Getränk 1 1/2- 2 Mark und waren dabei zufrieden. Gewöhnlich kauften sie für das empfangene Geld in hiesigen Läden verschiedene Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände, die sie mit nach Hause nahmen. Im Frühsommer brachten namentlich das Eingraben des Düngers und während des Sommers die Rebbodenpflege und später das Bespritzen der Rebpflanzen viel Arbeit. Auch im Herbst war volle Beschäftigung von Nöten. Die mit Trauben gefüllten Butten wurden teils auf dem Rücken, teils auf Schubkarren oder per Wagen heimtransportiert. Daselbst wurden die Beeren durch die Traubenmühle gequetscht. Abends gab das Auspressen des Traubengutes in den Trotten mit den grossen Eichbäumen und der Steinlast oder in Spindelpressen sowie das Versorgen des Weines in die Fässer noch einige Stunden Arbeit. Aber auch nach dem Herbst und im Winter ging dieselbe nicht aus; sie pressierte nur nicht mehr; es drängte nicht eine andere. Vorerst hiess es Reben einlegen, d.h. sie verjüngen. Wenn immer möglich wurde ein ganzes Stück eingelegt, oder es wurden nur einzelne fehlende Pflanzen- Lücken- wieder ersetzt durch dazu vorbereitete sog. Einleger- Reben, an denen im Frühling keine Bögen, sondern nur etwa 20cm lange Stürzlinge geschnitten wurden, damit sie reichlich Jungholz trieben. Rebstecken wurden aus erganteten Föhrenstämmen – die spältig kamen aus der Hardwaldung – gespalten, geputzt und gespitzt. Der Bürgerhau, bis 1883 stehend abgegeben, und weiteres Haushaltungsholz musste geschlagen, heimgeschlittelt und verarbeitet werden. Auch das „Verspäckeln“ – kleinmachen  - der Rebenbögen zum Verfeuern sei erwähnt.
War es draussen unlustig, kalt, oder lag tiefer Schnee, so begab man sich ins Brennhaus und fabrizierte aus den im Herbst aufbewahrten Trauben- und Obsttrestern Branntwein. Um als Handelobjekt zu gelten, musste dieser, auf einer Schindel liegend mit einem Zündholz entzündet, brennen. Das nachherige Destillat, der Trub, hatte noch Alkoholgehalt, solange er auf dem heissen Brennhafenhut nach Anzündung noch brannte. Das Erstergebnis des Destillats nannte man Vorlauf; er war an Alkoholgehalt am reichsten. Neben diesem „Brennen“ wurden aus Weiden die Bandstössel zum Rebenbinden hergerichtet, und in der Stube wurden Nüsse geknackt, um aus denselben Öl zu bekommen.

Reben bis an die Häuser


Frauen und Töchter besorgten die leichtern Rebarbeiten; sie wirkten beim Rebenschneiden mit; sie nahmen das Rebholz zusammen; sie „schnadelten“, d.h. entfernten die Klammern an den Bogenschossen, erledigten die grosse Arbeit des Rebenbindens, später die des Läubelns, d.h. das Ausbrechen der überflüssigen Neutriebe, und nochmals später das Anheften der nächstjährigen Tragschosse an die Rebstecken. Auch beim „Bäcken“, das die Sauberhaltung des Rebbodens von Unkraut bezweckte, und im „Wimmet“ – der Traubenlese, - die bei gutem Wetter die schönste Arbeit im Rebwerke ist, waren Frauen und Töchter wacker tätig.

Wümmet 18. Oktober 1926 "Geissberg" Steckborn

Der Beginn der Traubenlese wurde jeweils in der Herbstgemeindeversammlung beschlossen. Vom betreffenden Tage an, wurde jeweils des Morgens, event. auch erst nachmittags, die Erlaubnis des „Wümmelns“ mit Läuten der grossen Kirchenglocken bekannt gegeben. Sie ertönte auch, wenn zufolge eingetretenen Regens Schluss des Traubenschneidens angezeigt war. Zur Kontrolle hierüber sowie zum allgemeinen Schutz der Feldfrüchte trat die über die ganze Herbstzeit beorderte Flurwache in Funktion. Jeder Güterbesitzer wurde im Verhältnis zur Grösse seines Grundbesitzes dazu befohlen. Die einzelnen Gruppen bestanden aus einem Chef und 5 Mann, die je zu zweien die zugewiesenen Gebiete bewachten. Das 11 Uhr – Mittagläuten erfolgte während der ganzen Dauer der Traubenlese mit allen Kirchenglocken, als Lob und dank dem Schöpfer dargebracht. Es war ein schöner Brauch.

Bis in die 1880er Jahre waren unsere Reben bei richtiger Pflege und Düngung im ganzen strotzend gesund; man kannte als Schädling nur die Röte und die Schwärze der Blätter. Im Jahre 1885 aber trat in den unteren Reblagen der falsche Mehltau auf der Unterseite der Blätter auf; dies starben viel zu früh ab;die Trauben wurden „löndig“(welk) und reiften nicht aus. Anfänglich bekämpfte man diese Pilzkrankheit durch Bestäubung mit Schwefel, dann durch Bespritzung mit Azurin, einer Kupfersalzlösung, aber beides ohne Erfolg.Erst die Verwendung der Bordeaux- Brühe, 2-3kg Kupfervitriol aufgelöst in 100 Litern Wasser, dazu 2-3kg gelöschter Kalk, verwendet als Spritzflüssigkeit, konnte die Krankheit,die nach und nach den ganzen Rebberg ergriffen hatte, für die laufende Vegetationsperiode zurückhalten. Anfänglich genügte eine einmalige Laubbespritzung pro Sommer; bald aber musste die mühsame und widrige Arbeit 2-3 mal wiederholt werden. Aber damit waren der Übel noch nicht genug; es trat auch noch der echte Mehltau, ebenfalls eine Pilzkrankheit, auf, der es auf die Traubenbeeren selbst abgesehen hatte. Schon bald nach Mitte Sommer begannen die infizierten Beeren aufzuspringen und je nach Witterung einzutrocknen oder zu faulen; die Traube war verloren. Das beste Mittel dagegen war ebenfalls die Bordeauxbrühe.
Der Grossteil unseres weissen Seeweines kam nach Schaffhausen an dortige Weinhändler. Daselbst wurde er gallisiert, d.h. ein Eimer Wein wurde mit einer erwärmten Stampfzuckerlösung, bestehend aus 30 Litern Wasser und 3 Kilo Zucker gut gemischt und dann der Gärung überlassen.
Das neue Weinwassergemisch bekam eine angenehme Säure und Frische. Ein Zusatz von billigem französischem oder italienischem oder gar spanischem Rotwein machte aus unserem Rebprodukt Schaffhauser, spez. Hallauer Wein. Dieses fand alsdann als echtes Produkt der gegend Abnehmer in der ganzen Schweiz. Kam er als Sauser zu sofortigem Ausschank, so erhielt er gelegentlich noch einen Zusatz von Sülibirnensaft. Auch Basler Firmen kauften Wein. Solcher kam ferner auf Fuhren in mit Blumen geschmückten Fässern in andere Gegenden des Thurgaus.
Der Stadtkeller im ehemaligen obern Schulhause bei der Kirche verfügte über zirka 750 Eimer Fassung. Er diente zur Lagerung des herbstlichen Steuerweines. Eine ganze Herbststeuer ergab per 1000.- Fr. Steuerkapital 2 Mass = 3 Liter Wein.Je nach Bedürfnis wurde eine viertel, eine halbe oder eine ganze Steuer bezogen. Weiter kamen in den Stadtkeller diejenigen Weine, welche an Geldes statt behulfs Ablösung der allgemeinen Steuer abgeliefert wurde. Der Stadtküfer besorgte die nötigen Arbeiten. Der Weinvorrat bildete den Reservefond der Bürgerschaft.
War der Winter kalt, mit Temperaturen 10 Grad R unter Null, und der See mit einer Eisdecke überzogen, so hiess es: „Ezt choschts Lüüt und Räbe“, mit anderen Worten: Nun müssen wir befürchten, es werden Leute ertrinken und Reben erfrieren. Gefährdet waren dann namentlich die unteren Lagen. Der erfrorene Rebstock musste nahe am Boden abgeschnitten und aus den nachwachsenden Bodenschossen musste eine neue Rebe nachgezogen werden. Das gab vermehrte Arbeit, für das laufende Jahr keinen und das daran anschliessende einen reduzierten Ertrag. In den 1890er Jahren waren die Weinpreise ganz schlecht, 12, 14, 16 Rappen per Liter. Als Beweis wie verschieden gross der Weinsegen sein konnte, sei angeführt, dass ein hiesiger Rebmann, der vier Jucharten Rebland besass, im Jahre 1900 daraus 435 Eimer Wein zu 13 Rappen  per Liter und im Jahre 1901, als alle Schädlinge zusammen wirkten, 15 Eimer zu 15 Rappen per Liter erntete. Im Mittel schätzte man den Ertrag einer Juchart Reben auf 50 bis 60 Eimer, früher zu 36 jetzt zu 40 Liter. Hatte der Eimer den Wert einer zweistelligen Zahl, also mindestens 10 Fr., so war man zufrieden.
Die Rebsorte Elbling“, hier „Burgauer“ genannt, lieferte den weissen; die Burgunder Rebe den roten Wein.
In der Zeit von 1800 bis 1900 brachten die Jahrgänge 1834, 1865 und 1895 die besten Weine. All diese schwierigen Verhältnisse im Rebbau, die vermehrte Arbeit und ganz besonders die miserablen Weinpreise, führten 1894 zur Gründung einer Winzergenossenschaft. Keller wurden gemietet; gegen 2000 Eimer Fassung wurde gekauft; man nahm ganz besonders den Rebbesitzern, die keine oder zu wenig Fässer hatten, den Wein ab. Jeweils konnte ein Teil verkauft werden; die Hauptsache blieb aber hier, und so ging es mehrere Jahre. Die Hoffnung, dass sich Jahre mit besseren Weinpreisen einstellen, ging nicht in Erfüllung. Stattdessen kamen finanzielle Schwierigkeiten, sodass 1910 die Liquidation der Genossenschaft erfolgte. Sie brachte grossen Schaden und Verärgerung. Das Sprichwort: “Hinter die Rebe kann man sich 7 Jahre verbergen“, hatte seine Gültigkeit verloren.
Im 2. Dezenium des 20. Jh. Begann ein starkes Roden im Rebberg. Die Reben wurden ersetzt durch andere Kulturpflanzen, die viel weniger Arbeit erforderten und doch bessere Verdienstmöglichkeiten boten. Namentlich wurde viel Rebland in Kleeäcker  und Wiesen umgewandelt, und damit steigerte sich die Viehhaltung.