Provisor Joh. Balthasar Hanhart

Joh. Balthasar Hanhart wurde im Jahr 1784 geboren. Der talentvolle Knabe entwickelte sich glücklich und wurde frühe zum Lehrerberuf bestimmt. Schon in seinem 14. Jahre wurde er seinem Vater als Gehilfe zur Seite gestellt. Daneben erhielt er Privatunter­richt im Französischen und in Musik und beschäftigte sich unter der Leitung von Dekan J. Gutmann, der in seinem Hause eine Anzahl Zöglinge unter­richtete, auch mit Zeichnen und Papparbeiten. Durch einen dieser Zöglinge, mit dem er innig befreundet war, kam er dann nach Zürich in ein Fabrikations- und Handelshaus, und es schien, als ob er für den Lehrerberuf verloren sei. Doch beseelte ihn ein lebendiger Fortbildungstrieb, und er benützte jede Gelegenheit, seine Kenntnisse zu vermehren. Als er etwas später gemeinsam mit einem älteren Kollegen im Auftrag seines Prinzipals, des Obristen Meyer zu Stadelhofen, eine Hand­spinnerei in dem einsamen Lunkhofen, Kanton Aargau, zu leiten hatte, kamen die beiden überein, in den Freistunden sich gegenseitig zu unterrichten; Hanhart war Lehrmeister in der Musik und wiederum Schüler in Zeichnen und Mathematik. Auch in der Geographie und in deutscher Sprache wußte er sich zu vervollkommnen und suchte zu diesem Zweck den Pfarrer Schweizer in Birmensdorf, der eine deutsche Grammatik herausgegeben hatte, persönlich auf. Unsere heutige Schuljugend, welcher der Weg zur Ausbildung mitunter nur zu leicht gemacht wird, so daß sie oft zu wenig veranlaßt ist, ihre Kräfte anzuspannen, kann sich kaum eine Vorstellung machen, mit welcher Mühe und Anstrengung vor hundert Jahren strebsame Jünglinge sich ein ordentliches Maß von Kenntnissen und Fertigkeiten erkämpfen mußten.

Als Hanhart sein 22. Altersjahr erreicht hatte, starb sein Vater. Der Stadtrat von Steckborn anerbot nun dem Sohn die eben frei gewordene dortige Provisorstelle für den Fall, daß derselbe sich entschließen könnte, wieder dem Lehrerberufe zu leben. Neben einer pietätvollen Rücksicht auf die Wünsche der verwitweten Mutter war es hauptsächlich die Freude an geistiger Tätigkeit und die Hoffnung, der heranwachsenden Jugend nützlich zu werden, was ihn bewog, auf eine vielversprechende kaufmännische Laufbahn zu verzichten und wieder Schulmeister zu werden. Vorher aber wollte er noch für seine Ausbildung das Mögliche tun, besuchte einen Fortbildungskurs bei Rusterholz und Schultheß auf dem Rietli bei Zürich und brachte nach bestandenem Examen vor dem Schulrat in Frauenfeld einige Monate im Pestalozzischen Institut in Yverdon zu, das damals in schönster Blüte stand. Voll Begeisterung für den Erzieherberuf und für die Pestalozzische Methode trat er dann die Lehrstelle in seiner Vaterstadt an.
Hanhart hatte in seiner Stellung gegen eingewurzelte Übel­stände viel zu kämpfen; aber der damalige Schulinspektor, Pfarrer Pestaluz, war ihm eine kräftige Stütze und sorgte auch für seine Fortbildung im pädagogischen Fache. Als derselbe später einige Lehrkurse für angestellte Schullehrer veranstal­tete, benützte er die Schule Hanharts als eine Art Muster­schule, um die Kursteilnehmer mit den neuen Einrichtungen und der Lehrmethode bekannt zu machen. Bald hatte Hanhart auch selber Gelegenheit, in dieser Anstalt Unterricht zu erteilen, und das war die nächste Veranlassung, daß ihm später der Unterricht der Bezirkschullehrer-Inspektoren anvertraut wurde. Nach den Aussagen vieler seiner Schüler und Zeitge­nossen verstand er es meisterhaft, einen anregenden und geistbildenden Unterricht zu erteilen; er war aber auch ein trefflicher Erzieher im engern Sinn des Wortes und hatte immer viele Zöglinge in seinem Hause, die er teils für das Lehrfach, teils für andere Berufsarten vorbereitete. In den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts wußte man auch im Thurgau noch nichts von Zusammenkünften und Ver­einen der Lehrer zu gemeinsamer Besprechung beruflicher Angelegenheiten. Hanhart war es, der zuerst einen freiwilligen kantonalen Schullehrerverein gründete; dieser hinwiederum gab die Anregung zur Stiftung einer Lehrerwitwenkasse und des kantonalen Sängervereins. Lange hatte er gehofft und dafür ge­arbeitet, daß in Steckborn auch eine höhere Lehranstalt (Sekundar- oder Realschule) errichtet werden möchte. Diese Hoffnung ging nicht in Erfüllung. Das bewog ihn endlich, im Jahr 1827 einen Ruf an die neu errichtete Sekundärschule in Stein am Rhein anzunehmen, und in dieser Stellung verblieh er dann bis zu seinem Tode. Den thurgauischen Schulverhältnissen schenkte er aber weiterhin seine volle Aufmerksamkeit und Unterstützung. Auch von Stein aus besuchte er alljährlich die Versammlungen des thurgauischen Kantonallehrervereins und be­hielt das Präsidium desselben bis zum Jahr 1836, wo Seminardirektor Wehrli an seine Stelle trat. Mit maßgebendem Einfluß setzte er sich in Wort und Schrift für die Gründung eines thur­gauischen Seminars ein. Im Jahre 1840 erfolgte unerwartet und für seine Familie, wie für die Schule, viel zu früh sein rascher Tod. Er starb an den Folgen der sogenannten „Andelfinger Sängerfest- Vergiftung".