Vorwort zu Sommernacht- Festspiel 1950

Von Maria Dutli- Rutishauser

Maria

Steckborn,  die kleine Stadt am See

Wer sie erstmals schaut, muss sie lieben. Sie imponiert nicht — sie ist nur lieblich und zum Malen schön. Aber es sind über die paar Hundert alten und die vielen neuen Häuser, über die Gärten, Höflein und Ackerzeigen so reiche Farben ausgegossen, dass kein Bild imstande ist, den ganzen Zauber dieser bunten Vielfalt wiederzugeben. Es müsste einem Maler gelingen, die Seele des Städtchens, ihr Herzstück zu finden. Doch das versteckt sich so heimlich im Rosengarten hinter der Stadtmauer, dass nur jene wenigen Menschen darum wissen, die in hellen Sommer­nächten die Stille raunen hören und durch große Treue der alten Zeit und Vergangenheit verbunden sind. Vielleicht ist es der See, der Städtchen und Menschen formt und ihnen ein so eigenes, ein­maliges Gepräge gibt. Oder wären deines Schlosses trutzige graue Mauern anders denkbar, als vor dem blauen See, der das anmutige, vielfach getürmte Dach in seinen Wassern wieder­spiegelt ? Was wärest du ohne die lange Reihe singender Pappeln am abendlichen stillen Ufer und ohne den Zauber der Klostermauern, an die im ewigen Rhythmus die Wellen schlagen? Glöcklein hängen in uralten Giebeln. Die läuten ihr silbernes Abendlied nicht nur für die kleine Stadt und ihren Feierabend — nein — das Glockenspiel erreicht die weißen Segler auch, die kleinen Kähne, darin die Liebe vom Gestade zieht. Und sie haben Antwort am jenseitigen Ufer, das wie ein Traumland im Golde sinkender Sonne liegt. Wenn es Abend wird, breitet sich über Dächer, Erker und verschlossene Gärten, über Menschen und Dinge sanfte Ruhe und Beschaulichkeit aus. Des Sees Weite und der fliessende Glanz über Hügeln und Schlössern macht alles und alle unendlich zufrieden. — * Friedvoller weiß ich keine Landschaft und keinen Ort, als dieses Städtchen, diesen See, die von blauen Hügeln umfangen sind. Wenn es einen Warteraum zum Paradies gibt, dann ist es hier, wo alle Lieblichkeit auf kleinem Räume vereinigt ist — wo hoher Wald und blühende Wiesen, goldene Äcker und sonniges Reb­gelände von den weichen Schultern des Seerückens niederfliessen — wo die Schönheit der Schöpfung Gottes einen unerhört harmonischen Triumph feiert. Sie ist ein Lied, diese Land­schaft, ein Gedicht, dem jeder neue Sommer eine neue Strophe schenkt. Alte und junge Freunde stimmen begeistert ein in den Hymnus zu Ehren des frohen Städtchens, darin die Kinder auf den Spuren vieler Jahrhunderte gehen. Heller Mittag flutet manchmal in die blütenverhangenen, behüteten Gärten jenseits hoher Mauern, eine alte, zittrige Hand öffnet das Törlein zwischen Rosenbett und Seetreppe. Dann fällt der Blick in's Zauberreich der alten Zeit, auf den Klöppelstock der Ahne, von dem ein hauchfeines Spitzenmuster nieder­rinnt, so fein, als sei es für einer Königin Brauthemd bestimmt. Die kleine Stadt wächst. Wo an den See eine grüne Wiese stößt, oder der sanfte Hang in ihrem Rücken einen Platz freigibt, bauen sich schönheitsliebende Menschen und Freunde des Sees ihr Haus. Diese neuen Heimstätten bilden den kurzweiligen Rahmen um das Bild der Kleinstadt. Mehr sind sie nicht. Denn immer wird der Kern bleiben, werden Kirche, Rat­haus, Turmhof und die Giebelhäuser mit ihrem bunten Fachwerk und grauen Gemäuer «das Städchen» sein, darin Einheimische glücklich sind und Fremde sich verweilen. Denn inner­halb der Mauer, wo erst Fliederduft, dann Goldlack, Reseden, Rosen und brennende Liebe sich verströmen, dort ist die Seele der kleinen Stadt daheim. Sie ist es, die wir lieben und sie meinen wir, wenn unser Herz an jedem neuen Tage die Heimat preist am lieblich­sten See der Welt.

Maria Dutli-Rutishauser

* Hoffen wir, dass es wieder so friedvoll wird, wie ein Warteraum zum Paradies !