Thurgauische Beiträge zur vaterländischen Geschichte 1898

Geschichte von Ermatingen von 1600 - 1800   1. Teil

buch1

sind erschienen: Heft 26 (1886), S. 1-43. Geschichte von Ermatingen bis zur Reformation, Heft 31 (1891), S. 4-28. Geschichte von Ermatingen von den Anfängen der Reformation bis zur Wiedereinführung des kathol. Gottesdienstes und  einer  katholischen Pfarrgemeinde daselbst (1519-1636).

Mit der Neubildung einer katholische» Kirchgemeinde, der zweiten in der Seegegend, war der Bischof als Gerichtsherr aus dem Glaubenskampfe mit den Ermatingern als Sieger hervor­gegangen. Wenn er aber glaubte, daß die letztern durch die Misserfolge dabei mürbe geworden seien, so täuschte er sich. Das unter denselben herangewachsene Geschlecht brachte seinem Bekehrungseifer keine Empfänglichkeit entgegen. Angesichts der tiefsten Verachtung, die einen Konvertiten traf, blieb die Rückkehr zum alten Glauben ein Wagestück, das niemand leicht zu bestehen Lust hatte. Als zur Zeit der großen Theuerung 1693 einige arme Bürger, welche in Schwaben Brot und Verdienst gesucht hatten, dort katholisch wurden, getrauten sie sich nicht mehr heimzukehren. Die vielfachen Versuche zur Einbürgerung fremder Katholiken bestritt die Gemeinde mit Berufung auf ihre althergebrachten Gerechtsame. Wenn sie dabei auch immerhin, und mit einem Prozesse, der von 1608 bis 1619 dauerte, nicht, verhindern konnte, daß ihr trotz derselben von ihm doch der Kammerdiener des Abtes von Kreuzlingen , Kaspar Bohner von Winterstetten im Allgau, als Bürger aufgezwungen werden konnte , und die Lehenshöfe, wie Agerstenbach, Lanterschweilen u. s. w. vorzugsweise, ja fast ausschließlich, mit Katholiken als Beisaßen besetzt wurden, so blieb doch die Zahl der Katholiken im Dorfe stets nur eine geringe; aber die Bereitwilligkeit des Bischofs, bei jedem Anlass; zu Gunsteu der geringen Zahl seiner Glaubensgenossen sich in Gemeindeangelegenheiten einzumischen, hob die Bedeutsamkeit dieser letzter» und den Muth, gegen ihre meist hablichern Mitbürger Opposition zu machen. Bisher wenig spürbar, entwickelten sich damit allmählig auch die Leidenschaften des Ehrgeizes und der Herrschsucht im Torfleben mehr, ebenso Parteigeist, wo unter dem tauschenden Paniere von Religion und Gemeindewohl die mannigfaltigsten Sonderinteressen auf einander stießen. Sicherer als auf diese Weise Hütte man das ewige Ein­greifen bald vom Gerichtsherrcn, bald vom Landvogt, nicht her­beiführen können, um mit großen Kosten dann die Lehre heim-zunehmen, daß die Sprache beider für Unterthanen nur zwei Worte habe: leiden und leisten. Es wäre irrig, vorauszusetzen, daß, während der Glaube so zu sagen das A und O des Tagesgesprächs war, auch die Moralität in hohem Grade werde hervorgetreten sein. Obschon dazumal niemand als Grundsatz predigte wie heutzutage: „Eigenthum ist Diebstahl am Gute aller", so stehen die damaligen Gemeindeprotokolle bezüglich Vergehen und Frevel in Feld, Wald und Haus an Reichhaltigkeit denjenigen der heutigen gemeinderäthlichen Bußentage  weder   an Art  noch an Zahl irgendwie nach.

Mochten übrigens die Ansichten in Glaubenssachen sonst noch so verschieden sein, in einem Glauben waren Reformierte und Katholiken gleicher Meinung, nämlich im Aberglauben, in der Bereitwilligkeit, schlimme Erlebnisse im Haushalt, Viehpresten und Hagelwetter, bösen Zauberkünstlern zuzuschreiben, und im Argwöhnen, wer im Dorfe Urheber davon sein möge, gleich wenig skrupulös.
Im Jahre 1598 klagte Konrad Stöckli vor dem Gemeinderath, daß seine Frau von der Witwe Dorothea Biedermann, damals lehensweiser Inhaberin der Gemeindemetzg, so von des Hexenwerks wegen schon lange im Verdacht stehe, eine Schuld habe einfordern wollen, und daß sie ihr dabei auf der Straße begegnet sei. Schon bevor sie nur ein Wort hätte sagen können, habe ihr die Metzgerin von weit her zugerufen: „Du hast Geld von mir haben wollen", und habe ihr dann mit der Hand auf die Achsel geklopft. Obgleich seine Frau vorher an dieser Achsel nie ein Weh oder eine „Mase" gehabt, habe ihr der Arm sofort angefangen weh zu thun, und der Schmerz habe auch von Augen­blick zu Augenblick so zugenommen, daß sie stetig ach und weh schreien müsse und keine Arbeit mehr verrichten könne: deshalb sei nichts anderes Zu denken, als dass ihr die Metzgerin etwas angethan habe. Der Gemeinderath beschloß, durch Abordnung einiger Mitglieder dem Landvogt von der Klage Mittheilung zu machen, und dieser ließ die Metzgerin gefänglich einziehen. Da sie aber weder gütlich noch bei zweimaligem Foltern durch den Scharfrichter zu einem Schuldgestäudnis zu bringen war, entließ er sie wieder des Verhafts gegen Zahlung der Kosten und Angelobung, diesen Handel in der Folge an niemand zu rächen; die Ermatinger aber ersuchte er, ihr Freundlichkeit und Gutwilligkeit zu erzeigen und ihr auch das Metzgen weiter zu gestatte» wie bis anhin.
Als sie ihres Versprechens   ungeachtet doch Anstalt machte, den Kläger Stäheli gerichtlich zu belangen, hielt es der Bischof als Gerichtsherr für angezeigt, zu Gunsten des letztern dem Landvogt ernstliche Vorstellungen zu machen, dass er ihr damit kein Gehör schenke; er sei zwar weit entfernt, in die hohe Gerichtsbarkeit eingreifen zu wollen; aber angesichts dessen, daß das hochsträfliche Laster nicht nur zu Ermatingen, sondern auch in andern niedergerichtlichen Flecken des Gotteshauses, namentlich zu Berlingen, so allenthalben im Schwang gehe und einwurzeln wolle, so solle man es in solchen Fällen mit der Veweisforderung nicht so streng nehmen, zumal Beweis ohnehin beschwerlich zu leisten sei, und nicht Ursachen geben, daß der Missethat Thür und Thor offen stünde, Leuten und Vieh Schaden thun zu können. Bei wenig Zeiten sei es geschehen, dass Geschädigte hätten zurückstehen müssen, während es sich später dann doch befunden, daß ihr Gegentheil solchem überwiesen und mit Urtheil und Recht hingerichtet worden sei.
Wie in solchen Fällen der geistliche Gerichtsherr selbst und seine Beamten da vorzugehen pflegten, wo ihnen nicht nur die niedere, sondern auch die hohe Gerichtsbarkeit zustand, zeigt das „Reichenauer Richtebuch". ") Nach diesem wurden in der Zeit von 1574 bis  1589   „von  des leidigen Hexenverkehrs wegen", verbrannt:

Aus der Reichenau (9 Personen)
1574.    Barbara Haselberg,
1575.    Elsbeth Matthis.
1579.   Georg Erni, genannt Wagenmann.
  „         Agatha Förn. 1579.   Dorothea Förn,
  „        Margaretha Gilg,
1583.   Hans  Rempf,   genannt Schwarzhans,  und seine  Schwiegermutter,
1584.  Agnes Weber von Luzern.


Von Allenspach (4):
1581.   Dorothea Welschinger.

Ursula Welschinger, welche sich willig ergeben in die Sack geschickt, ruhig gestorben und ohne Zweifel „nun die Seligkeit erlangt."

1584.    Ursula Weber.    

  "         Barbara Haselmeier.

Von Wollmatingen (4):

1581.    Elsbeth Buchmann.
1586.    Dorothea Keller.
1587.    Anna Bürklin.
1589.    Elsbeth Ellenbest.

Von Markelfingen (1):

1584.    Elsbeth Förn.

Ein Glück wohl also für die Biedermann, daß dem Bischof nicht auch in Ermatingen die hohe Gerichtsbarkeit zustand; ihre Klage gegen Stöckli fand kein Gehör.
Das Buch der Erfahrungen von 1600 bis 1700 zeigt zunächst im Banne der Befriedigung alltäglichster Lebensbedürfnisse schnellen Wechsel mit Jahren, wo Hülle und Fülle, oft ohne Möglichkeit, den Ueberfluß nutzbar zu machen, und schlechten, wo Theuerung und der Armut, auch nur Beschaffung des Allernothwendigsten, fast unerschwinglich war. Von erstern mögen beispielsweise erwähnt sein :
1617, wo in Konstanz unter 3 Vierling Gangfisch (ein Vierling ist gleich 20 Stück), 20 Krametsvögel und 1 Mutt Kernen letztere das wohlfeilste waren.
1631, reichlicher Herbst und so guter Wein, daß man den alten in Zuber und Standen schüttete, um leere Fässer zu be­kommen, und die beste Maß alter kaum 1 Kreuzer, der geringere 1/2 Kreuzer galt, wohl auch viel umsonst verschenkt oder gar ausgeschüttet worden, und doch, heißt es dabei, wars Wein von 1629, wo der Saum hundert Gulden gegolten hatte.                                                             1637. So reicher Herbst, daß insgemein eine Juchart Reben 7 bis 8 Fuder gab, ein Eimer Wein und ein Eimer Faß gleich viel galten und die beste Maß um 4 und zu 2 Pfennig verkauft wurde; darauf:
1638 zwar geringer Ertrag, aber der Wein so gut, daß das Fuder durchweg 200 Gulden galt.
1647. Ueberaus gutes Fruchtjahr und Obstjahr, namentlich viel Steinobst. Noch am St. Gallentag (16. Oktober) fand man frische Kirschen; in Tägerweilen und in der Höri blieben die Störche da und legten am St. Gallentag noch Eier.")
1655. So gutes Weinjahr wie seit hundert Jahren nie; der Saum galt 36 Gulden, Korn 10 Batzen. Als Merkwürdigkeit verzeichnet die Appenzeller Chronik von Walser u. a. auch, dass am Herbstjahrmarkt in St. Gallen 1 Maß Wein, 1 Maß, Milch und ein birkener Besen gleichviel gegolten hätten, nämlich 6 Pfennig, und 1658 ein so gutes Fruchtjahr gewesen, daß man in Rorschach ein Viertel Korn um 20 Kreuzer gekauft habe.                                                                                                            1672 bis 1675 und 1673 bis 1688 waren in ununterbrochener Reihe gute Jahre mit großer Wohlfeilheit.
„Es herrscht ein grausamer Sterbent; der liebe Gott wolle uns alle gnädig behüten!"
Mit dieser für die Wißbegierde bemühenden Kürze erledigt eine Anmerkung im Rathsprotokoll die Erlebnisse während der Zeit der pestartigen Krankheit, des schwarzen Todes, 1611, wo in Konstanz bei 4000 und im Thurgau selbst 33,584 Personen daran starben. Daß sie auch in Ermatingen sehr heftig regiert habe, ist daraus zu schließen, daß damals der Kirchhof vergrößert wurde, und der Volkssage nach ganze Haushaltungen ausge­storben seien. Ob damit, oder mit der 1635 herrschenden ähnlichen Krankheit in Verbindung steht, daß 1640 einem Martin Schlatter von Bischofszell   das Bürgerrecht unentgeltlich ertheilt wurde, „weil er und seine Mutter in etlich Sterbensläuf sich hat brauchen lassen bei den Kranke», er auch etlich Jahr Hindersäß, gewesen", mag dahingestellt bleiben.
Kaum begann die Erinnerung a» diese Schreckenszeit in etwas abzublassen, so brachte das Jahr 1628 neue schwere Heimsuchung mit Theuerung und Hungersnot; das Viertel Korn galt 3 Gulden, die Maß Wein 18 Kreuzer; in Ermatingen mußten laut amtlichen Verzeichnisses 63 Personen ihren Unterhalt auswärts mit Betteln suchen. Bei stürmischer Witterung gieng am 20. Mai nahe bei Mannenbach ein Schiff unter; es ertranken 55 Personen, welche in der Reichenau im Kloster um Almosen gebettelt hatte», deren allein 21 von Raperschweilern und Fischbach waren. Mit Recht sagt Pfarrer Amstein in seiner Geschichte von Wigoltingen: „Wie unsäglich mußte da Not und Armut sein, daß um einer Schüssel Suppe und eines Brötchens willen Leute stundenweit herkamen."
1635 zeigte nicht nur pestartige Krankheit, sondern auch derart Mangel, daß arme Leute gezwungen waren, den Hunger mit Kleie, Kräutern, welche sonst nur als Viehfutter dienten, Schnecken, Eicheln u. s. w. zu stillen. Das Viertel Korn galt durchweg 5 bis 7 Gulden. Die Theuerung hielt bis ins Spät­jahr 1636 an, so daß es fast verwunderlich erscheint, wenn im darauffolgenden Jahre wegen des Ueberflusses Platzmangel und Verlegenheit war, wo unterbringen. Da Ankauf und Durchpaß mit Frucht auf deutscher Seite gesperrt war, wurden ein Bürger, Hans Stöckli, und ein Ansasse, Martin Steinhauser, nach Winterthur geschickt, um dort für die Gemeinde ein Quantum zu kaufe», und ihnen eine amtliche Empfehlung dafür mitgegeben, das Gekaufte überall mit leidlichem Zoll passieren zu lassen, dieweil die Gemeinde gar arm sei.
Indessen ist das Jahr 1692 mit feinen Erlebnissen als Notjahr denjenigen von 1628 und 1635 fast überlegen. Korn, das man 20 Jahre zuvor für 12 Kreuzer gekauft,  galt jetzt 4 bis 7 Gulden das Viertel. „Von Ermatingen laufen über hundert Bettler im Lande herum", lautete ein Amtsbericht des evangelischen Dekanats nach Zürich; ob damit nur Dorfangehörige oder solche aus dem ganzen Kirchspiele gemeint seien, ist indessen nicht ersichtlich. In unmittelbarem Gefolge der furchtbaren Theuerung zog auch der Hungertyphus durchs Land. Während in gewöhnlichen Jahren die Gesamtzahl der Todten evangelischer Konfession laut der Pfarrbücher selten auf mehr als 40 anstieg, 1643 im ganzen Kirchspiel bloß 10 betrug, sind 1692 vierhundertundzwölf Personen gestorben.
Eine Abrechnung von 1695 gibt den gesamten Güterbestand im Gemeindebann zu 1995 Manngrab Reben, 212 Manngrab Wiesland und 156 Juchart Ackerfeld an. Schon frühe begegnete man der Meinung, es habe in Ermatingen zu wenig Ackerfeld und zu viel Rebland: letzteres sei hoch im Preise und jüngern Leuten nicht leicht, zu einem Gütergewerb zu kommen, weshalb sich dieselben meist der Fischerei zuwenden müssten und bei den zahlreichen Klöstern der Umgebung sichern Absatz fänden, theils auch würden die Fische von ihnen selbst oder von andern Dorfangehörigen auswärts, namentlich nach Frauenfeld, Winterthur, Schaffhausen, ja bis ziemlich weit ins Deutschland hinaus vertragen. Ermatinger Gangfische waren damals sogar in Frank­reich bekannt und als Delikatesse geschätzt, Sie wurden öfters in solcher Menge gefangen, daß es nicht zu den ganz außerordentlichen Fällen gehörte, wenn es auf jeden der 18 Antheilhaber der Segi bei der Abrechnung am Schlusse des Laichs 6500 bis 7000 Stück traf, was einem Total von 11,700 bis 18,600 gleichkommt.
Aber nicht nur als Fischer, auch als besonders kundige und zuverlässige Schiffleute standen die Ermatinger in der ganzen Seegegend in vorzüglichem Ruf, und die günstigen örtlichen Ver­hältnisse für den Frachtverkehr brachten guten Verdienst, wobei indessen die harte Arbeit nicht immer ein Sporn  zur Häuslich keit gewesen zu sein scheint. Für den Markt und Warenverkehr nach Radolfzell, Gottlieben und Konstanz waren zwei besondere Schiffmeister bestimmt und Gebühren und Verbindlichkeiten derselben durch eine» Gemeindebeschluß, Schiffleutenordnung, vorge­schrieben. Sie bezahlten jährlich eine Gebühr von sechs Gulden und dreißig Kreuzer, wovon 2/3 der Gemeinde und 1/3 dem Ge­richtsherrn zukam. Die Gemeinde leistete für das, was ihnen zur Spedition übergeben wurde, Garantie. Bei Seefrost be­sorgten sie den Waarentransport durch Anstellung von Leuten,-zum Schlitten. Es meldete sich stets hiefür eine so große Anzahl von Verdienstsuchenden, daß öfters Streit uud Schlägereien ent­standen, da immer viele Petenten nicht ankommen konnten. Als daher 1696 beabsichtigt wurde, die Landungsstelle durch die Erbauung einer Stedi zu verbessern, verweigerte eine große Anzahl von Bürgern die Zustimmung zur Anlage einer Gemeindesteuer, und ließ sich erst beschwichtigen, als nach stürmischer Verhandlung an der Jahresgemeinde eine neue Schifffahrtsordnung vereinbart, und in dieser das Recht jedes Verdienstsuchenden auf Arbeit besser als bisher gewahrt wurde. Es wurden dieselben für die Zukunft in Rotten eingeteilt, jede mit einem Rottmeister; konnte einer, dessen Rotte es traf, nicht fahren, so stand sein Recht darauf still, bis es wieder an dieselbe kam, und, heißt es im Gemeindeprotokoll, es ward dann auch noch im gleichen Jahre die Baute glücklich vollführt.
Das Bestreben, den Zollplagereien für den Absatz der eigenen Produkte und beim Getreidebezug auf den gewohnten deutschen Marktplätzen durch Errichtung eigener Märkte zu begegnen, führte dazu, daß 1660 bei den regierenden Orten die Bewilligung zur Abhaltung eines Wochenmnrktes und zweier Jahrmärkte, je auf 15. April und 1. Dezember ausgewirkt wurde. Die Hoffnungen, welche man sich davon machte, erfüllten sich indessen nur in untergeordnetem Maße. Ermatingen stand bei den Gerichtsherren  nicht  in  gleicher Gunst  wie Gottlieben und vermochte deshalb nicht mit diesem als Hauptstapelplatz für den auswärtigen Waarenverkehr in Konkurrenz zu treten; aber die Eigenschaft als Marktflecken ermöglichte anderseits, daß jetzt auch Berufsarten, welche sonst als städtische Gewerbevorrechte galten, betrieben werden konnten, während bisher das Handwerk nur bloße Nebenbeschäftigung einzelner und auf das allernothwendigste beschränkt gewesen war. Unter denjenigen, welche sich dieses zu Nutze machten, finden sich eine Zeit lang namentlich St. Galler und Äppenzeller, so ein Hans Jakob Oberteuffer von Teufen als Färber, Abraham Mayer von St. Gallen als Gerber; einen: St. Galler, Sebastian Echobinger, wurde 1662 das Bürgerrecht für 199 Gulden, ein Dutzend nußbaumene Stühle und den Bürgern einen Trunk ertheilt u. s. w.
Hin und wieder führten aber auch die Ansichten solcher Einzüger über den Umfang ihrer Berufsberechtigung zu Reibungen mit den althergebrachten; so klagt unter anderm 1677 Joseph Keller, Bader und Barbier von Konstanz, als lehensweiser Inhaber der Badstube, daß sich im Arenenberg ein Hans Jakob Tobler, Bruchschneider aus dem Appenzellerland, aufhalte, der ihm mit Aderlassen, Schröpfen und Ertheilung von Purgationes und Medikamenten die Patienten wegnehme „so i h m zu kurieren gebühren" ; er bitte, daß er für den Unterhalt von Weib und Kind geschützt und Tobler, weil er ein Fremder sei, in seine Heimat gewiesen werde; er wolle beweisen, dass derselbe über Gebühr und Gebot wohl schon mehr als zweihunderten zu Ader gelassen habe. Der Landvogt verfügte hierauf, Tobler solle fortan nur seine Kunst als Stein- und Bruchschneider auszuüben befugt, Keller aber, weil Inhaber der Badstube, in allem übrigen bestens geschirmt sein. Tobler half sich aber gegen die ihm damit gezogenen Schranken so, daß er 1689 die Badstube kaufte und nun sofort seinerseits dem Keller aus dem gleichen Grunde, wie Keller früher ihm, den weitem Betrieb des Berufs verbieten ließ; damit kam das gesamte dazumalige Sanitätswesen in eine Hand, und Ermatingen halte es nicht zu beklagen; volle zwei Jahr­hunderte lang haben in der Folge die Tobler als geschickte Chirurgen und Aerzte ehrende Anerkennung gefunden.
Auch ein Einzüger andrer Art machte um diese Zeit von sich reden, der, obgleich vielfach übel angesehen, und für seine Duldung schwer that, ziemlich rasch zu viel Anhang kam, nämlich die Sitte des Tabakrauchens (Tabaktrinkens); aber wer bei bürgerlichen Zusammenkünften auf dem Rathhause, also auch beim Abendtrunke daselbst, sich dessen schuldig machte, wurde mit einer Buße von einem Pfund Pfenning bestraft, und wie sehr es eine hohe Obrigkeit damit ernst nahm, zeigt, daß diese Bußen-androhung in der Gemeindeordnung von 1666, die jedes Jahr an der Jahresgemeinde verlesen wurde, „als von Alters her" gleich unter Nr. 2 von  16 Satzungen ihre Stelle hat.
Schon   früher  als  für den Gewerbebetrieb hatten indessen durch den Verlauf  des dreißigjährigen  Krieges   die  regierenden Orte ihrerseits Veranlassung, Ermatingen im Interesse der Landesvertheidigung ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Längst vorbei waren die Zeiten, in welchen,   wenn die Sage wahr ist,  ein Standesläufer mit seinem Stabe genügte,  um   fremde Heerhaufen   vom Schweizerboden abzuhalten; wiederholte Grenzverletzungen an verschiedenen Orten zeigten, wie wenig die Kämpfenden beiderseitig willens waren, das schweizerische Landesgebiet zu respektieren, und die   schwulstigen,   wortpolternden   Verwahrungen   der   gnädigen Herrn und Obern halfen dabei den heimgesuchten Gegenden im Basler und Schaffhauser Gebiet so wenig,  als  die  paar wenig zahlreichen und unbehülflichen Mannschaftsrotten,  welche  in den Zeiten der höchsten Bedrängnis etwa Zürich oder Bern den be­freundeten Städten Basel  und Schaffhausen   zusandten,  da  sie gewöhnlich  erst  dann  anlangten,   wenn  sich  die Gefahr bereits wieder verzogen hatte.
Angelegentlicher als die Sorge für jene Landesgegend ließen sie sich diejenige   für das gemeinsame Unterthanenland Thurgau sein. Wenn man auch dort Erfahrungen genug hatte, welche keine große Hoffnung auf ein einträgliches, kräftiges Zusammenwirken derselben dafür aufkommen ließen, so hatte es doch das Gute, dass auf die Möglichkeit der Selbsthülfe besser als bis anhin Bedacht genommen und zunächst 1619 eine Wehrordnung beschlossen wurde, wofür das Land in 8 Quartiere eingetheilt, Ermatingen für das 7., gebildet aus Ermatingen mit Wolfsberg, Arenenberg, Sandegg, Fruthweilen mit Hubberg, Salenstein, Mannenbach, Berlingen, Steckborn mit Feldbach, Mammern mit Neuburg, Eschenz und Wagenhausen, als Quartierhauptort, und 1628 Bürgermeister Jakob Kreis zum Kommandanten desselben bestimmt wurde.
In hohem Grade misvergnügt war darüber Steckborn, welches als Stadt, im Besitze von zwei Kanonen und mehrern Wallbüchsen, erwartet hatte, dass ihm die Ehre eines Quartierhauptortes zu Theil werde, und dessen ehrgeiziger Bürgermeister Hans Jakob Hausmann ruhte daher nicht, bis 1649 Landvogt Arnold „als Anerkennung seines besondern Contents und Gefallens, wie wohlgerüstet, wohlgeübt und mit was feiner Form und Ordnung die Burgerschaft daselbst mit ihrer Wöhr und Waffen an der Huldigung aufgezogen", verordnete, daß die Stadtmannschaft von Steckborn vom Quartier ausgesondert und in Zukunft, gleich Frauenfeld, in Kriegszeiten unter einem eigenen Stadthauptmann dienen solle.
In  dem   Verzeichnis   des   Bestandes  der   Wehrmannschaft der  einzelnen Orte des Quartiers figuriert Ermatingen mit 378 Mann 9), was mit den Angaben der Pfarrbücher nicht recht zu stimmen   scheint,   von   welchen   1636   der  reformierte  Pfarrer Sprüngli und um gleiche Zeit auch der katholische Döldling, die ersten Taufbücher zu führen angefangen haben; denn Sprüngli, welcher das seinige mit einem „Gesamtinventarium der Seelen" beginnt, gibt die Zahl der Reformierten in Ermatingen zu 535, an und die der Katholiken war ohnehin klein, da nur 5 katho­lische Haushaltungen waren und überhaupt die Einwohnerzahl, vom schwarzen Tod 1611 herrührend, eine schwache gewesen sein soll.
Geduldig unterzog sich dieselbe den beschwerlichen Nachtdiensten, als es den Anschein gewann, daß ein Zusammenstoß der Kriegsparteien in den Grenzgegenden am rechten Seeufer in Aussicht stehen dürfte, und nicht zum wenigsten war es die Schützengesellschaft, welche sich dabei, so wie auch bei späteren ähnlichen Anlässen vorzugsweise Anerkennung verdiente, die ihr auch nebst dem herkömmlichen Eimer Wein von der Gemeinde damit zu Theil wurde, daß die regierenden Orte 1646 ihr eine jährliche Schützengabe von acht guten Gulden zu geben beschlossen und sie auch dem Bischof als Gerichtsherrn zu einer geziemenden Verehrung empfahlen, sowie daß 1698 ihr die Gemeinde für einen Schützenstand einen Platz im Seilerbann von den Barfüssermönchen in Konstanz eintauschte.
Damit erforderlichen Falls es aber auch zur kräftigen Ab­wehr von Grenzverletzung nicht an kriegsverständigen Befehlshabern mangle, hatten die regierenden Orte 1633 eine Anzahl von Hauptleuten ins Thurgau geschickt, von denen einer, Heinrich aus Zug, als örtlicher Platzkommandant in Ermatingen Stellung nahm. Leicht bei einander wohnen die Gedanken; doch hart im Raume stoßen sich die Sachen. Als am 28. August (8. September) der schwedische General Horn unversehens mit 4000 Mann vor Stein anrückte und über Eschenz aufwärts ziehend mit seinen Truppen bei Triboltingen, Gottlieben, Kreuzlingen und Umgebung Stellung nahm, weil er von thurgauischer Seite her die Stadt Konstanz am leichtesten zu nehmen hoffte, wagte derselbe so wenig als die andernorts einen Versuch zum Widerstand; „es sei zu viel Volk". Ob überhaupt ein solcher mit einem Haufen durch die Sturmglocke zusammengelaufener Leute auf Erfolg hätte hoffen lassen, und mehr als das hätten sie doch nicht dafür thun können, scheint zweifelhafter als die Wahrscheinlichkeit, dass die Schweiz damit der Gefahr entgangen ist, mit in den Strudel des Krieges hineingerissen zu werden. (Von den Folgen dieser Unterlassung und deren Beurtheilung seitens der kathol. Stände s. Keller, der kriegsgerichtliche Prozeß gegen Kilian Kesselring.)