Thurgauische Beiträge zur vaterländischen Geschichte 1886

Geschichte von Ermatingen bis zur Reformationszeit. Teil 2

Als nach dem Aussterben der Otten am Hard ihre Nachfolger, die Konstanzer Patrizier Muntpraten, fürhaus und Güter wie bisher die bürgerlichen Nutzungsrechte beanspruchen wollten, bestritt die Gemeinde die Berechtigung dazu, und erst ein Vergleich von 1472 beendigte den Anstand in der Weise, das der damalige Besitzer, Hans Mumprat, derselben dafür zehn gute Gulden bezahlt; damit wurde ein Erbzins von sieben Schilling Pfennig von der Kreuzwiese zurückgekauft, welchen ehemals die Gemeinde in einer Geldverlegenheit veräußert hatte,
Gemeindeschulden, das Schmerzenskind der heutigen Ermatinger, treten also schon damals in Sicht, zugleich aber auch in der Art der vergleichsweisen Abmachung zwischen den Interessenten die Wahrnehmung:

1) Daß die Bürger frei von jeder gerichtsherrlichen Einmischung und völlig unabhängig über ihr Gemeindegut zu verfügen berechtigt waren, während bei Fruthweilen und Salenstein noch im achtzehnten Jahrhundert lange der Gerichtsherr mit den Gemeinden darüber im Streite lag, dass er, an dem Begriff des ursprünglichen Markgenossenschaftsrechtes festhaltend, ihre Waldungen als sein Eigenthum ansprach und den Gemeinden daran blos das Nutznießungsrecht zugestehen wollte.
2) Durch die Abfindungssumme von zehn guten Gulden, welch hohen Werth man damals beiderseitig auf das Nutznießungsrecht in Wunn und Weide, Holz und Feld legte. Noch bei fünfzig Jahre später kaufte man das ganze volle Bürgerrecht um zwanzig gemeine Gulden.
Viel Streben und Ringen mag auch hier vorausgegangen sein, bis uns diese Zustände als fertige Thatsachen dastehen. Leider ist aber hierüber auch gar keine Kunde geblieben. Der Vandalismus, mit dem man nach Aufhebung des Klosters Rei-chenau mit einem großen Theil der Pergamanturkunden umgieng und die Papiere wagenvollweise in die Papiermühle wandern ließ, läßt kaum Hoffnung, daß diese Lücke in der Ortsgeschichte je wird ausgefüllt werden können.
1484 verkauft Pfarrer Johann Weibel der Kirchgemeinde den alten Pfarrhof neben der kleinen Kirchenthür mit Grund und Boden um 160 Gulden; das Geld soll zu einem neuen bequemen Pfarrhause verwendet werden, damit der Kirchhof erweitert werden könne.
1488 wurde an der Kirche selbst, wohl aus dem gleichen Grunde, weil auch sie, wie der Kirchhof, bei der zunehmenden Volkszahl nicht mehr genügte, einer Baute stattgegeben, zu welcher das Kirchspiel 120 Gulden in Konstanz entlehnte. Da
keine Andeutungen darauf hinweisen, daß auch das Kloster als ,,Herr in der Kirche und vor der Kirche" an den Kosten beigetragen hat, so ist anzunehmen, daß sie keine totale Neubaute gewesen sein kann, sondern etwa nur das Langhaus beschlagen habe, indem uraltem Herkommen gemäß dem Abt als Gerichtsherrn der Bau und Unterhalt des Chors, dem Kirchspiel dagegen alles übrige oblag.
Des neuen Gotteshauses sollte man indessen nicht lange froh bleiben können; auf eine Reihe zum Theil ganz außerordentlich fruchtbarer Jahre, wie z. B. 1472, wo ein Fuder des sehr guten Weins höchstens drei Pfund Pfenning, oder 1473 gar nur zwei Pfund galt, auch die Bäume schon im Hornung blühten, um Johanni Ernte, um Ende Juni der Herbst in voller Zeitigung stand und im November die Kirschen zum zweiten Male reif wurden, oder 1484, wo ein so gutes Weinjahr war, daß man, um den neuen Wein versorgen zu können, vielfach ganze Fässer voll den Armen zum Almosen, oder etwa auch ein Faß voll Wein für ein leeres Faß gab: folgte zunächst nach strenger Winterkälte 1491 eine solche Theurung, daß viele Leute im Thurgau sich mit abgebrühten Nesseln, Disteln und Heublumen den Hunger stillen mußten, das Viertel Hafer 15 bis 16 Kreuzer und ein Fuder Wein 32 bis 38 Gulden galten.
Die gewöhnlichen Folgen theurer Zeiten, seuchenartige Krankheiten, blieben auch hier nicht aus, und der Geldwucher fand ein ausgibigs Arbeitsfeld.
Als die Jüdin Sarah bei dem Landgericht in Konstanz 1494 nach dem Tode eines armen Mannes in Ermatingen dessen Erben um eine Schuld von achtzehn Gulden belangte und ihnen eine ziemliche Summe Gut verganten ließ, um sich dafür bezahlt zu machen, ungeachtet gerichtlich erfunden worden war, daß der Verstorbene ihr nur neun Gulden schuldig gewesen sei, auch sonst verschiedene arme Leute wegen Wucherschulden in Acht und Gefangenschaft nach Konstanz bringen ließ, nahm sich der Landvogt im Thurgau, Hans Muheim, der Schuldner an, und wenig hätte gefehlt, daß die Stadt mit Krieg überzogen worden wäre, wofür er bereits seine Landsleute in Uri aufgemahnt hatte. Die parteiische Handhabung des Landgerichts sowohl hier, als überhaupt, wo es Thurgauer anbetraf, veranlaßte die regierenden Orte zu ernsten Vorstellungen an Konstanz, und um so fester bestanden sie nach dem Schwabenkriege auf der Abtretung desselben.
Fruthweilen, Salenstein, Mannenbach und Berlingen wurden durch die theuren Jahre derart verschuldet, daß sie zuletzt, weil von den Gläubigern am Hofgericht zu Rothweil mit Acht und Prozessen verfolgt, den Kaiser um Schutz anrufen und dieser befehlen musste, es sollten Acht und Bann gegen sie für ein Jahr ruhen und inzwischen der Bischof von Konstanz versuchen, die Gläubiger zu einem schonendern Verfahren zu bestimmen.
Wenn immerhin die Rückwirkung dieser Zeiten und Zustände auf Ermatingen nicht so gewaltig und nachhaltig gedrückt zu haben scheint, wie auf diese Nachbarorte, so wartete seiner dafür 1499 der härteste Schlag, den der Ort seit Jahrhunderten, vielleicht jemals, erlitten hat.
Nach dem erfolglosen Bestreben des Kaisers Maximilian, aus dem Reichstage zu Lindau, 1496 die Eidgenossen wieder in den alten Reichsverband zurückzubringen, sollte sie ein gleichzeitiger Angriff von drei Seiten her, vom Sundgau, Vorarlberg und von Konstanz aus zur Nachgibigkeit zwingen. Vorab willfährig zeigte sich hiefür der schwäbische Bund; da dieser gewohnt war, sich als Gegenbund zu betrachten, schürten des Kaisers Räthe die Eifersucht und die Kriegslust, obwohl, wie Frank von Wört sagt, „der Bund dabei nit trefflich Ursach hätt." Die kurz zuvor im Kriege gegen Herzog Albrecht von Bayern errungenen Erfolge hatten das Selbstgefühl desselben gesteigert, „man hat vor Jahren einen todten Schweizer mehr gefürchtet, als derzeit zehen lebende; der Fund ist jetzt funden, daß die Bauern nimmer werden Herren sein," wurde zum Losungswort, und schamlose Beschuldigungen in Worten und Liedern nährten die Stimmung im Bundesvolke, wo man beim gemeinen Manne nebenbei dem Kriege gegen die Schweizer sogar selbst einen sittlich religiösen Anstrich zu geben bemüht war. Erbittert darüber, antworteten die Eidgenossen mit der Bestimmung in ihrer Kriegsordnung für den bevorstehenden Krieg, dass in demselben keine Gefangenen gemacht, sondern alles niedergehauen werden solle. Erst im Frühjahr 1499 sammelten sich indessen die Reichs-heere. So geräuschvoll das geschah, so lag die schwache Seite ihres Operationsplans von vorneherein in der Heeresorganisation, welche eine überraschende kräftige Offensive unmöglich machte, im Vorarlberg ohne andern Erfolg als die wechselseitige Verheerung der Grenzlandschaften, wobei der Eifer bald in Sehnsucht, wieder heimzukehren, umschlug, da der Krieg doch eigentlich mehr den Kaiser selbst als das Reich angehe. Bei Dornach genügten den 22. Juli ein paar Nachmittagsstunden zu einer Niederlage des im Sundgau zusammengezogenen Heeres von mindestens 16,000 Mann, die zur Entscheidungsschlacht für den ganzen Krieg wurde.
Mittlerweile waren aber die Eidgenossen namentlich der Sammlung bei Konstanz, meist Hegauer Ritterschaft und Mannschaft der Reichsstädte, aufmerksam gefolgt; in Hohn- und Trotzreden es allen zuvorthuend, liest dieselbe muthmaßen, daß von da her der Hauptangriff zu gewärtigen sei; ein verschanztes Lager im Schwaderloh sollte deshalb den Weg von Konstanz nach Zürich verlegen, während von Münsterlingen bis Diessenhofen Beobachtungsposten vorgeschoben waren.In Konstanz herrschte bei der Bürgerschaft zur Zeit meist des Landgerichts und der Zänkereien halber wegen des Fischereigebietes gegen Ermatingen eine ganz besonders gereizte Stimmung, welche erwarten ließ, daß letzterm von dort aus, sobald es angehe, Schlimmes bevorstehen werde. Obgleich für diesen Platz also ausnahmsweise Berücksichtigung angezeigt war und auch die Ermatinger wiederholt hiefür Vorstellungen machten, wurden anfänglich doch nur 200 Zürcher unter Hauptmann Bluntschli, welchen noch etwas Thurgauer Mannschaft nebst einer Abtheilung des in Mannenbach lagernden Luzerner Postens als Verstärkung beigegeben war, dorthin verlegt, und die üblen Folgen hievon ließen nicht lange auf sich warten.
Der erste kriegerische Vorstoß von Konstanz aus fand am 10. März statt. Die bei Tägerweilen stehenden Vorwachen der Eidgenossen wurden mit einem Verluste von 30 Mann zurückgeworfen, und ungeachtet der vom Bischof von Konstanz verheißenen Neutralität sein Schloß zu Gottlieben und in der folgenden Nacht auch die Insel Reichenau von den Bündischen besetzt. Die Eidgenossen erwiderten mit der sofortigen Verbrennung des bischöflichen Schlosses zu Kastel.
Unter den 30 bei Tägerweilen Gefallenen wird auch „der Ammann von Ermatingen" genannt; kaum dürfte damit die Amtsperson gemeint sein, da dieser vom Kloster eingesetzte und abhängige Beamte sich schwerlich dort beim ersten Anlaße und in der Vorpostenreihe hervorgethan haben würde, während seine Herrschaft es mit dem Feinde hielt. Mit mehr Wahrscheinlichkeit muß auf eine angesehene Persönlichkeit mit diesem Ermatinger Geschlechtsnamen geschlossen werden und könnte dann die Vermuthung nicht zu weit gehen, daß es der durch seine Tapferkeit in den italienischen Feldzügen seit 1487 auch in weitern Kreisen bei den Eidgenossen bekannte Ludwig Ammann gewesen sei, der so eine ruhmvolle kriegerische Laufbahn mit dem Tode beim Schutz seines heimatlichen Dorfes geschlossen habe, zumal gleichzeitige Urkunden auch sonst keiner im Dorfleben hervorragenden Persönlichkeit dieses Namens erwähnen.
Seit dieser gelungenen Waffenthat war Ermatingen begreiflich von Gottlieben und der Reichenau her fast täglichen Anfechtungen ausgesetzt, weshalb von den nachrückenden Zuzügern in's Schwaderloh 40 Mann von Bern unter Hans Kuttler und ein Freiburger Hauptmann mit 50 Mann auf Bitten der geängstigten Bürger, vielleicht auch durch die ihnen gewordene gute Aufnahme günstig gestimmt, dort blieben, so daß mit Anfang Aprils die Gesammtstärke des eidgenössischen Zusatzes etwa 400 Mann betragen mochte, aber in der Mehrzahl mangelhaft, meist nur mit Spießen und Handbüchsen bewaffnet.
Unterdessen war die feindliche Macht in Konstanz auf nahezu 18,000 Mann angewachsen, und alles deutete darauf hin, daß sie sich für eine größere Unternehmung schlagfertig mache.
Gegen Ende März war ein schweizerischer Heerhaufe im Klettgau und Hegau eingefallen. Um nicht in Gefahr zu kommen, im Rücken angegriffen zu werden, und zugleich um der für ihre dortigen Besitzungen geängstigten Ritterschaft Luft zu machen, sollte derselbe durch einen Vorstoß in das Innere der Schweiz, wo man zur Zeit die streitbare Mannschaft mehrtheils auswärts wußte, von dort abgelenkt und, weil die bisherigen Begegnungen von der geringen Widerstandsfähigkeit des Postens überzeugt hatten, dafür der Weg über Ermatingen genommen werden, während Konstanz dabei mit genügenden Streitkräften versehen blieb, um mittlerweile das schweizerische Lager im Schwaderloh zu beschäftigen.
Am Abend des 10. Aprils kam Bluntschli von unbekannter Hand die Warnung zu, sich auf einen Ueberfall gefaßt zu machen; er schenkte indessen derselben keinen Glauben, möglich, daß er der Meinung war, es sei wieder nur auf eine der gewohnten Neckereien abgesehen, da auch im Schwaderloh kein feindlicher Angriff gewärtigt werde, bevor der längst auf dem Kriegsfchauplatze erwartete Kaiser aus den Niederlanden eintreffe. Auch die ihm Untergebenen theilten in der Mehrzahl seine Sorglosigkeit, und die Bedenken einzelner, welche Vorsicht empfahlen, brachte die spöttische Abfertigung Bluntschlis zum Schweigen, daß, wer sich fürchte, seinetwegen den Harnisch in's Bett anlegen möge.
Die Ruhe des gewöhnlichen Dorflebens lag daher über Ermatingen, als am Morgen des 11. Aprils um Tagesanbruch das schwäbische Bundesheer mit 15 schweren Geschützen und „mit Spis und Züg versehen nach aller Notdurft" (Tschudi) von Konstanz auszog. Die Ritterschaft führte der Oberbefehlshaber, Graf Wolf von Fürstenberg, selbst, die Fußknechte, meist Mannschaft der Reichsstädte, vorab viele Konstanzer, Burkhart von Randegg, „wollt alllweg der erst an die Eidgenossen syn," die ihm dieser Tage im Hegau sein Schloß verbrannt hatten. Vorsichtig waren zur Vermeidung von starkem Geräusch die Fallbrücken an den Thoren mit Mist überlegt worden.
Gleichzeitig während diese, ohne von Vorwachen aufgehalten, bis Ermatingen vorrückten, setzte Graf Niklas von Salm mit einer andern, nächtlicher Weile auf der Reichenau zusam mengezogenen Abtheilung über den See und ließ theils von Staad aus angreifen, theils gegen die in Mannenbach liegen den Luzerner vorgehen, um ihre Vereinigung mit den Ermatingern zu verhindern.
Die Angaben über die Stärke der für diese Unternehmung verwendeten Streitkräfte lauten ungleich; Tschudi nennt 10,000, die von Konstanz ausgezogen, und 8000 mit Schiffen von der Reichenau herüber gekommen. Stumpf gibt die Ge-sammtzahl zu 8000, Etterlin und andere zu 12,000 an; die meisten, namentlich deutsche Chroniken, erwähnen die Anzahl gar nicht.
Der fast gleichzeitige Angriff vom Oberdorf und vom Staad her überraschte die Besatzung von Ermatingen in vollständigster Sorglosigkeit; meist noch im Bette liegend, wurde Hauptmann Bluntschli und mit ihm bei 73 Mann beim ersten Anlauf und fast ohne Gegenwehr erstochen; allenthalben gestaltete er sich zur bloßen Metzelei, je nachdem der Zufall Gruppen zusammenführte. Viele liefen ohne Schuhe und ohne Waffen, kaum nothdürftig bekleidet, in planloser Flucht davon; einige sammelten sich in der allgemeinen Verwirrung auf dem Kirchhof und kämpften eine Zeit lang hinter den Mauern desselben und vom Kirchthurm aus, reizten aber damit mehr die Mordlust des überlegenen Gegners, als daß ihr Widerstand noch nützen konnte, und bald genug zeigte sich auch hier, daß, ob nicht Tod oder Gefangenschaft das Loos aller werden solle, nur noch von der Möglichkeit abhänge, sich gegen das Hard durchschlagen zu können, dem einzigen Weg, durch Flucht nach dem Wald und den Schluchten des Bergabhanges der zahlreichen feindlichen Reiterei zu entrinnen, begünstigt durch die Lokalbeschaffenheit dem mit Feuerwaffen überlegenen Feinde den Vortheil abzugewinnen und sich den Rückzug nach dem Lager im Schwaderloh zu ermöglichen; es ist darum auch die Gegend um Hard der Platz, wo zuletzt noch am blutigsten gekämpft wurde, da der Feind, dessen gewahr, sofort überall auf die Flüchtigen gehen ließ, um ihnen dort den Paß abzuschneiden.
Wer nicht glücklich das Tobel traf, wurde auch niedergestochen; elf Mann gaben sich gefangen; die übrigen „wehrten sich, bas sie konnten" (Tschudi); eine Anzahl von ihnen zog sich hiebei in den Thurm beim Hard zurück und wurde, da ihre Verfolger denselben mit Stücken zusammenschossen (untergruben), unter den Trümmern lebendig begraben. Damit war jeder ernstliche Widerstand erloschen; einer Verfolgung der Flüchtigen enthielten sich die Sieger. Vergeblich hatten die in Man-nenbach liegenden Luzerner sich zur Hülfe aufgemacht. Von Graf Salm angegriffen, wurden sie mit einem Verluste, den die schwäbischen Geschichtschreiber zu 300 Todten angeben, und demjenigen ihrer zwei Feldstücke zurückgeworfen und gezwungen, in gänzlicher Auflösung ihre Rettung in der Flucht zu suchen.
Hatte bisher die Ritterschaft in erster Linie gestanden, so lange es zu kämpfen gab, so that sich für die nun beginnende Plünderung des Dorfes, soweit sie nicht inzwischen bereits schon vorläufig das Geschäft besorgt hatte, die Städtemann-schaft, vorab der Konstanzer, hervor. Die Verwirrung zu vermehren, und den Widerstand zu brechen, war gleich von Anfang an verschiedenen Orten Feuer angelegt worden; gleiches war auch in Mannenbach bei Verfolgung der Luzerner und ebenso in Triboltingen von der Nachhut des Bundesheeres geschehen. Die Flammen der drei brennenden Ortschaften leuchteten so fürchterlich, daß man sich am Oberfee sagte, der ganze untere Thurgau müsse im Feuer stehen und daß eiligst ein Zuzug von 490 Mann von Bregenz und Lindau sich aufmachte, um auch noch an der Vernichtung der verhaßten Schweizer Antheil zu haben, die bereits im besten Gange sein müsse, jedoch auf unterwegs erhaltene Kunde von dem Ausgang der Schlacht am Schwaderloh kleinlaut wieder den Rückweg antrat.
Von den Bürgern war vieles in die Kirche geflüchtet worden in der Hoffnung, daß diese nach Kriegsgebrauch ein Asyl sein werde; aber auch die geheiligte Stätte sicherte nicht uor der alles durchforschenden Raubsucht, und es wurde dort nicht nur „groß Gut, so armer Leuten Sach," sondern auch alles, was sich an Heiligtümern, Gotteszierde, Meßgewändern, Kreuzen und andern Kostbarkeiten vorfand, namentlich sieben werthvolle Kelche, um welche nachher große Klage entstand, dem plündernden Feinde zur Beute.
Uebermüthiger Siegestaumel kannte keine Grenze, und Haß gegen alles, was Schweizer hieß, auch dort weder Barmherzigkeit noch Schonung; schwangern Frauen wurden unter unfläthigen Reden mit der Drohung, die Kühghyer gleich im Mutterleibe zu erwürgen, Hellebarden und Degen an den Leib gesetzt. Jauchzend ritt Burkhart von Randegg in der Kirche umher, erstach einen siebenzigjährigen blatternlahmen Greis, der, vor dem Altare liegend, mit aufgehobenen Händen um Erbarmen flehte, und höhnte die Jammernden mit der Lästerung, heute wolle er einmal im Thurgau brennen, daß Gott selbst im Regenbogen vor Rauch und Hitze blinzen und die Füße an sich ziehen müsse.
Als die Zerstörungswuth endlich abnahm und, was zu plündern war, so ziemlich seinen Mann gefunden hatte, sammelten die Führer am Nachmittag mühsam allmälig ihre Schaa-ren wieder; aber der bisherige Erfolg hatte Ordnung und Gehorsam unter ihnen gelöst: da half kein Bitten noch Befehlen; jeder folgte seinem eigenen Willen.
„Zugent," sagt Tschudi, „mit großem Pracht und Geschrei bei Ermatingen uf den Berg und siengend an zu rathschlagen, wohin sie ziehen wolltent; also waren ihrer viel, die hatten Kisten gefegt; der etlichen führtend Korn, Win, Bettgewand und allerlei Hausrath mit sich, trugent ihrer viel Kessi, Häfen und Pfannen an ihrem Gewehr, die alle wieder gen Konstanz ritten, und zugent ihrer ein Theil der Stadt zu. So waren deren viel, denen nüt oder doch nit genug was worden; die wolltend nun witers ziehen, dan sie wohl wüßtend, das kein Schweizer mehr bis gen Zürich an die Statt gestunde, so meinten ettlich, welchen die Eidgenossen bas bekannt, man sölli gute Ordnung halten, dan die Eidgenossen diesen Schaden nit ungerochen ließend, die do der andern Spott waren. Also was Graf Wolf von Fürstenberg der Reisigen Haubtmann; der vermeint nun die zwo Schlangen ze han (die zwei von den Luzernern erbeuteten Geschütze), dargegen die von Konstanz die behalten und nieman lassen wollten, und wurdend also un-eins, das sie ihr Waffen über einander zugent und erstund sie mit Gewalt zu theilen, aber unlang darnach kamen die Eidgenossen und schieden sie."
Die hochgradige Aufregung, in welche man sich allmälig hineingestritten hatte, verlief sich in einen allgemeinen Rückzug nach Konstanz, mochten auch immerhin die Gründe dafür verschieden sein, und der unter so günstigen Erfolgen begonnene Tag endigte mit der Niederlage des schwäbischen Bundesheeres, die unter dem unzutreffenden Namen „Schlacht im Schwaderloh" von der Schulbank her bekannt ist, in Wirklichkeit aber in den Feldern oberhalb von Triboltingen, in der Schragen-hurtzelg, stattgefunden hat, und mit dem Verluste von mindestens 2000 Mann an Todten, dabei mehr als 130 Kon-stanzer Bürgern, sämmtlichem mitgeführten Geschütz und allem Raub des heutigen Tages, worunter allein zehen Wagen mit Wein und mehrere Wagen mit Getreide beladen. Unter den Todten auf dem Schlachtfelds lag auch Burkhart von Randegg, der Pappenheim des Schwabenbundes, und für Ermatingen das, was jener für Magdeburg gewesen ist. Hocherfreut vor allen waren die Luzerner über ihre dem Feinde wieder abgenommenen zwei Feldstücke.
Die Kriegsgeschichte der Eidgenossen war damit um eine glänzende Waffenthat reicher. Ueber das Ende ihres Auszugs nach Ermatingen mussten die Konstanzer in der Folge noch lange Zeit Spottreden und Spottlieder hören. Die Ermatinger ergiengen sich darin um so ausgibiger, als vielfach die Meinung herrschte, derselbe habe meist nur darum stattgefunden, um ihnen damit gefällig zu sein, und leicht gieng man dabei über die Rathlosigkeit hinweg, welche ihm vorangegangen war. Getauscht durch Lärm und geräuschvolles Hin- und Herfahren dem schwäbischen Ufer entlang, womit die in Konstanz Zurückgebliebenen die Aufmerksamkeit von dem Ueberfall von Ermatingen abzulenken versuchten, befürchteten anfänglich die Eidgenossen im Schwaderloh, daß es auf einen Angriff der ganzen Seeseite entlang abgesehen sein könnte, und unverkennbar hat es dort lange gedauert, bis man zu einem Entschlusse kam, was thun, und bis die ohnehin zur Zeit geringen Streitkräfte zum angriffsweisen Vorgehen zusammengezogen wurden. Nicht daß bereits seit der Morgenfrühe im Bereiche der ihnen zur Ueberwachung anvertrauten Gegend und auf wenig mehr als anderthalb Stunden Entfernung drei Dörfer brannten, und daß sich seitdem dort ihre Genossen mit dem Feinde herumschlugen, gab endlichum Mittagszeit den Ausschlag zum Angriff des ihnen, trotz dem allmälig von allen Seiten anrückenden thurgauischen Landsturm, an Zahl weit überlegenen Feindes, waren sie doch selbst damit wenig mehr als 1500 Mann stark, und wo sie in Feindesland hinkamen, machten sie es ja mit Sengen und Brennen durchaus nicht besser. Tschudi gesteht ganz naiv: „Wo die zwo Büchsen von Luzern nit wären gesin, sie hätten es nit unterstanden."
Was das Verbrennen des Ortes bei dem Ueberfall anbelangt, so ist aus spätern Urkunden zu schließen, daß es wohl nur das Oberdorf, mehrtheils die Häuser um die Kirche herum und gegen das Hard zu, betroffen haben mag, und daß weniger dabei der Staad gelitten zu haben scheint. Von der Kirche soll nur das Langhaus verbrannt, Chor und Thurm dagegen stehen geblieben sein. Die Todten wurden in der Nähe der Hard-mühle begraben, wo mehrfach, namentlich bei Straßenbauten, eine Menge Gebeine angetroffen worden sind.War den Konstanzern die am Morgen erlittene Schlappe wieder heimgezahlt, so blieb die zweideutige Haltung des Abtes von Reichenau nicht vergessen, und wie seiner Zeit bei dem Vorstoße nach Gottlieben diejenige des Bischofs von Konstanz mit Verbrennung seines Schlosses Kastel, so sollte sie mit einem Ueberfall der Insel Reichenau vergolten werden. Auf den Tau-send-Rittertag (23. Juni) besammelten die Eidgenossen hiefür alle Schiffe, welche von Konstanz bis Schaffhausen von ihnen aufzutreiben waren, und setzten auf 32 Schiffen von Ermatingen, Berlingen und Steckborn über den See; der Anschlag war indessen verrathen worden, und die Bedrohten, durch Zuzug aus der Umgegend und von Radolfzell verstärkt, standen in drei Haufen zur Abwehr bereit, bohrten mit ihren Geschützen mehrere der anrückenden Schiffe in den Grund, und die Eidgenossen kehrten „mit ziemlichem Verluste und wenig Ehre" zurück (Tschudi). In ein Grab allein wurden 32 Todte gelegt.
„Wiewohl man Lüt fand, die die Ow dem dickern mal „gern überfallen und ingenommen hettend, so war es doch allgemein erwehrt, us was Ursach, laß ich bliben." (Tschudi.)
Während manche Gemeinwesen bis in die spätesten Zeiten Spuren solcher Erlebnisse an sich tragen, die Volkssage in Liebe und in Haß von Personen und Begebenheiten sich ihre Phantasiegebilde schafft und sogar Uebernamen sich in Ermatingen Jahrhunderte lang forterhalten haben, ist von diesen Schreckenstagen so gut wie gar nichts in der Volkserinnerung geblieben; denn hoch anzuschlagen ist in dieser Beziehung die Sage nicht, daß das Rothgäßchen (bisweilen auch Blutgäßli geheißen) den Namen von einer Schlacht her habe, in der dort das Blut bis zum Agerstenbach herunter geronnen sei, da der Name möglicherweise auch bloße Grenzbezeichnung sein konnte. Eben so unsicher geht man, wenn man den Namen Blutacker, einer Zelg in den Triboltinger Feldern, mit der Schlacht am 11. April in Verbindung zu bringen sucht.
Wie viel die Ermatinger von den Eidgenossen von dem dem Feinde wieder abgenommenen Raube zurückerhielten, ist nirgends ersichtlich; sie scheinen überhaupt mit ihrem erlittenen Schaden sich selbst überlassen worden zu sein; denn die Ansichten darüber, was als gemeine Leute zu halten sei, waren im Schwabenkriege sehr weitgehend, und selten hielt sich der gemeine Mann lange mit der Frage auf, ob es Freundes oder Feindes Gut sei.
Wohl war dem Feinde das geraubte Silberzeug wieder abgenommen worden; daß aber die Ermatinger auch nur das aus der Kirche Geraubte wieder zurückerhalten hätten, wird mehr als zweifelhaft angesichts dessen, wie nachher um den Verlust der sieben kostbaren Becher dort so groß Klage gewesen sei; ja, selbst für gewöhnliche Forderungen aus dem Kriege her wurde es den Geschädigten schwer genug, zu ihrem Rechte zu kommen. Welch seltsame Sachen es darunter aufzuräumen gab, zeigt unter andern: auch der Abschied der eidgenössischen Tag-satzung vom 6. Dezember 1499.
„Bernhart Scherrer hat der Büchsen im Schwaderloh „halber bei einer Frau zu Ermatingen gezehrt und dafür die „Büchsen versetzt; ebenso haben einige Haubtleute da gezehrt „und nicht bezahlt. Am Tag zu St. Gallen hat man dem „Landvogt befohlen, mit der Frau zu rechnen und sie zu bezahlen; nun der Landvogt klagt, er habe kein Geld. Antwort „er soll mit der Frau auf Ziel und Tag abmachen um das, „was Bernhart Scherrer auf die Büchsen verzehrt habe; die „ Zehrung der Haubtleute dagegen betreffend, soll er die Sache „anstehen lassen, bis etwas Brandschatzgeld vorhanden sei, wo-„raus sie dann auch bezahlt werden soll." Wie viele andere Geschädigte mochte es geben, die mit ihren Ansprüchen nicht zu diesen hohen Behörden, wie Tagsatz-ung und Landvogt, durchzudringen vermochten!
Der Spannkraft und Ausdauer aller und der einzelnen im Dorf blieb es darum anheimgegeben, den Hausstand von der erlittenen Katastrophe wieder zu gesunden. Damit das gemeine Wesen nicht Schaden leide, wurden die beschädigten Urkunden neu umgeschrieben und über die Bestimmungen solcher, welche dabei ganz verloren gegangen, bestmöglichst Kundschaft aufgenommen. Zum Wiederaufbau der Kirche und zur Restaurierung der Beschädigungen am Thurm entlehnte die Kirchgemeinde unter solidarischer Haftbarkeit aller Ortschaften derselben das Geld von Junker von Schwarzach in Konstanz. Es scheint, dass trotz allem doch noch manches vor den feindlichen Langfingern gerettet worden sein muß; denn schon 1508 war bereits durch die vereinigte Anstrengung wieder ein Namhaftes abbezahlt und wurde, wie erwähnt, 1501 der Neubaute eines Raths- und Gesellenhauses stattgegeben, für welche sie später, 1520, die regierenden Orte um die Schenkung der Standes-wappen in die Fenster der Rathsstube, wie anderorts auch schon geschehen, ersuchten.
Bemerkenswert für die Häuserbauten damaliger Zeit und den Verhältnissen nach sind die Bestimmungen des Zwingrodels von 1501: „Auf sein Gesuch erhält jeder, der ein Haus bauen will, von der Gemeinde das nöthige Eichenholz zu Schwellen, Säulen, First, Dach und Träm über dem Keller, Dachrinnen, Traghölzer, Mauerfeder, Simsen und Brißul, und Aspen- und Erlenholz zu Riegel und Rasen. Erhät jemand Holz zu einem ganzen Haus, so soll dieses in Jahresfrist verzimmert sein, ein halbes Haus in einem halben Jahr, ein Viertelhaus in einem Vierteljahr, bei mindern Bauten aber als ein Viertel in einem Monat. Wer ein Haus auf eigenem Grund baut, von dem nicht Weg und Steg auf die Landstraße führt, der erhält kein Holz."
Spärlich sind im Ganzen die Urkunden aus jener Zeit, welche den Einblick in die damaligen Verhältnisse ermöglichen, und nur dürftig ist die Belehrung derselben, wie man es zu Wege brachte, das gemeine Wesen in den schweren Heimsuchungen durch Hungerjahre und Kriegsverheerung gesund durchzubringen. Ueber der Frucht blieb die Mühe der Pflanzung unbeachtet; aber in einem Punkte laufen alle Wahrnehmungen zusammen, in der allzeitigen Bereitwilligkeit des einzelnen Bürgers dafür, daß das möglich werde, wie sehr ihn auch die Sorge für den eigenen Hausstand drückte, und darin, daß für sein thatenmuthiges Aufraffen für beides das Gedeihen nicht ausblieb.
So ausgestattet, steht Ermatingen kurz darauf und in unmittelbarer »Folge an das materielle Wiederaufleben nach dem Schwabenkriege an der Schwelle der Reformationszeit.
                                                                    Aug. Mayer, Notar.


3. Teil